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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte 
(Ausgabe letzter Hand. 1827)

Elegien II

Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)

Zuerst im Druck veröffentlicht in Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1-4: Gedichte, Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1827. 

Elegien II

Bilder so wie Leidenschaften
Mögen gern am Liede haften.

 


Alexis und Dora

Ach! unaufhaltsam strebet das Schiff mit jedem 
Momente
Durch die schäumende Flut weiter und weiter hinaus! 
Langhin furcht sich die Geleise des Kiels, worin die 
Delphine
Springend folgen, als flöh ihnen die Beute davon.
Alles deutet auf glückliche Fahrt: der ruhige 
Bootsmann
Ruckt am Segel gelind, das sich für alle bemüht;
Vorwärts dringt der Schiffenden Geist, wie Flaggen 
und Wimpel;
Einer nur steht rückwärts traurig gewendet am Mast,
Sieht die Berge schon blau, die scheidenden, sieht in 
das Meer sie
Niedersinken, es sinkt jegliche Freude vor ihm.
Auch dir ist es verschwunden, das Schiff, das deinen 
Alexis,
Dir, o Dora, den Freund, ach! dir den Bräutigam 
raubt.
Auch du blickest vergebens nach mir. Noch schlagen 
die Herzen
Für einander, doch ach! nun an einander nicht mehr.
Einziger Augenblick, in welchem ich lebte! du 
wiegest
Alle Tage, die sonst kalt mir verschwindenden, auf.
Ach, nur im Augenblick, im letzten, stieg mir ein 
Leben
Unvermutet in dir, wie von den Göttern, herab.
Nur umsonst verklärst du mit deinem Lichte den 
Äther;
Dein alleuchtender Tag, Phöbus, mir ist er verhaßt.
In mich selber kehr ich zurück; da will ich im stillen
Wiederholen die Zeit, als sie mir täglich erschien.
War es möglich, die Schönheit zu sehn und nicht zu 
empfinden?
Wirkte der himmlische Reiz nicht auf dein stumpfes 
Gemüt?
Klage dich, Armer, nicht an! - So legt der Dichter ein
Rätsel,
Künstlich mit Worten verschränkt, oft der 
Versammlung ins Ohr.
Jeden freuet die seltne, der zierlichen Bilder 
Verknüpfung,
Aber noch fehlet das Wort, das die Bedeutung 
verwahrt.
Ist es endlich entdeckt, dann heitert sich jedes Gemüt 
auf
Und erblickt im Gedicht doppelt erfreulichen Sinn.
Ach, warum so spät, o Amor, nahmst du die Binde,
Die du ums Aug mir geknüpft, nahmst sie zu spät mir
hinweg!
Lange schon harrte befrachtet das Schiff auf günstige 
Lüfte;
Endlich strebte der Wind glücklich vom Ufer ins 
Meer.
Leere Zeiten der Jugend! und leere Träume der 
Zukunft!
Ihr verschwindet, es bleibt einzig die Stunde mir nur.
Ja, sie bleibt, es bleibt mir das Glück! ich halte dich, 
Dora!
Und die Hoffnung zeigt, Dora, dein Bild mir allein.
Öfter sah ich zum Tempel dich gehn, geschmückt und
gesittet,
Und das Mütterchen ging feierlich neben dir her.
Eilig warst du und frisch, zu Markte die Früchte zu 
tragen;
Und vom Brunnen, wie kühn! wiegte dein Haupt das 
Gefäß.
Da erschien dein Hals, erschien dein Nacken vor 
allen,
Und vor allen erschien deiner Bewegungen Maß.
Oftmals hab ich gesorgt, es möchte der Krug dir 
entstürzen;
Doch er hielt sich stet auf dem geringelten Tuch.
Schöne Nachbarin, ja, so war ich gewohnt, dich zu 
sehen,
Wie man die Sterne sieht, wie man den Mond sich 
beschaut,
Sich an ihnen erfreut und innen im ruhigen Busen
Nicht der entfernteste Wunsch, sie zu besitzen, sich 
regt.
Jahre, so gingt ihr dahin! Nur zwanzig Schritte 
getrennet
Waren die Häuser, und nie hab ich die Schwelle 
berührt.
Und nun trennt uns die gräßliche Flut! Du lügst nur 
den Himmel,
Welle! dein herrliches Blau ist mir die Farbe der 
Nacht.
Alles rührte sich schon; da kam ein Knabe gelaufen
An mein väterlich Haus, rief mich zum Strande hinab.
»Schon erhebt sich das Segel, es flattert im Winde«, 
so sprach er;
»Und gelichtet mit Kraft, trenne sich der Anker vom 
Sand.
Komm, Alexis, o komm !« Da drückte der wackere 
VatEr
Würdig die segnende Hand mir auf das lockige 
Haupt;
Sorglich reichte die Mutter ein nachbereitetes Bündel:
»Glücklich kehre zurück!« riefen sie, »glücklich und 
reich!«
Und so sprang ich hinweg, das Bündelchen unter dem
Arme,
An der Mauer hinab, fand an der Türe dich stehn
Deines Gartens. Du lächeltest mir und sagtest: 
»Alexis
Sind die Lärmenden dort deine Gesellen der Fahrt?
Fremde Küsten besuchest du nun, und köstliche 
Waren
Handelst du ein, und Schmuck reichen Matronen der 
Stadt.
Aber bringe mir auch ein leichtes Kettchen; ich will 
es
Dankbar zahlen: so oft hab ich die Zierde 
gewünscht!«
Stehen war ich geblieben und fragte, nach Weise des 
Kaufmanns,
Erst nach Form und Gewicht deiner Bestellung genau.
Gar bescheiden erwogst du den Preis! da blickt ich 
indessen
Nach dem Halse, des Schmucks unserer Königin 
wert.
Heftiger tönte vom Schiff das Geschrei; da sagtest du 
freundlich:
»Nimm aus dem arten noch einige Früchte mit dir!
Nimm die reifsten Orangen, die weißen Feigen; das 
Meer bringt
Keine Früchte, sie bringt jegliches Land nicht 
hervor.«
Und so trat ich herein. Du brachst nun die Früchte 
geschäftig,
Und die goldene Last zog das geschürzte Gewand.
Öfters bat ich: es sei nun genug! und immer noch eine
Schönere Frucht fiel dir, leise berührt, in die Hand.
Endlich kamst du zur Laube hinan; da fand sich ein 
Körbchen,
Und die Myrte bog blühend sich über uns hin.
Schweigend begannest du nun geschickt die Früchte 
zu ordnen:
Erst die Orange, die schwer ruht als ein goldener Ball,
Dann die weichliche Feige, die jeder Druck schon 
entstellet;
Und mit Myrte bedeckt ward und geziert das 
Geschenk.
Aber ich hob es nicht auf; ich stand. Wir sahen 
einandEr
In die Augen, und mir ward vor dem Auge so trüb.
Deinen Busen fühlt ich an meinem! Den herrlichen 
Nacken,
Ihn umschlang nun mein Arm; tausendmal küßt ich 
den Hals;
Mir sank über die Schulter dein Haupt; nun knüpften 
auch deine
Lieblichen Arme das Band um den Beglückten herum.
Amors Hände fühlt ich: er drückt uns gewaltig 
zusammen,
Und aus heiterer Luft donnert' es dreimal. Da floß
Häufig die Träne vom Aug mir herab, du weintest, ich
weinte,
Und vor Jammer und Glück schien uns die Welt zu 
vergehn.
Immer heftiger rief es am Strand; da wollten die Füße
Mich nicht tragen, ich rief: »Dora! und bist du nicht 
mein?«
»Ewig!«« sagtest du leise. Da schienen unsere 
Tränen,
Wie durch göttliche Luft, leise vom Auge gehaucht.
Näher rief es: »Alexis!« Da blickte der suchende 
Knabe
Durch die Türe herein. Wie er das Körbchen empfing!
Wie er mich trieb! Wie ich dir die Hand noch 
drückte! - Zu Schiffe
Wie ich gekommen? Ich weiß daß ich ein Trunkener 
schien.
Und so hielten mich auch die Gesellen, schonten den 
Kranken;
Und schon deckte der Hauch trüber Entfernung die 
Stadt.
»Ewig!« Dora, lispeltest du; mir schallt es im Ohre
Mit dem Donner des Zeus! Stand sie doch neben dem 
Thron,
Seine Tochter, die Göttin der Liebe; die Grazien 
standen
Ihr zur Seiten! Er ist götterbekräftigt, der Bund!
O so eile denn, Schiff, mit allen günstigen Winden!
Strebe, mächtiger Kiel, trenne die schäumende Flut!
Bringe dem fremden Hafen mich zu, damit mir der 
Goldschmied
In der Werkstatt gleich ordne das himmlische Pfand.
Wahrlich! zur Kette soll das Kettchen werden, o 
Dora!
Neunmal umgebe sie dir, locker gewunden, den Hals!
Ferner schaff ich noch Schmuck, den 
mannigfaltigsten; goldne
Spangen sollen dir auch reichlich verzieren die Hand:
Da wetteifre Rubin und Smaragd, der liebliche Saphir
Stelle dem Hyazinth sich gegenüber, und Gold
Halte das Edelgestein in schöner Verbindung 
zusammen.
Oh, wie den Bräutigam freut, einzig zu schmücken 
die Braut!
Seh ich Perlen, so denk ich an dich; bei jeglichem 
Ringe
Kommt mir der länglichen Hand schönes Gebild in 
den Sinn.
Tauschen will ich und kaufen; du sollst das Schönste 
von allem
Wählen; ich widmete gern alle die Ladung nur dir.
Doch nicht Schmuck und Juwelen allein verschafft 
dein Geliebter:
Was ein häusliches Weib freuet, das bringt er dir 
auch.
Feine wollene Decken mit Purpursäumen, ein LagEr
Zu bereiten, das uns traulich und weichlich empfängt;
Köstlicher Leinwand Stücke. Du sitzest und nähest 
und kleidest
Mich und dich und auch wohl noch ein Drittes darein.
Bilder der Hoffnung, täuschet mein Herz! O mäßiget, 
Götter,
Diesen gewaltigen Brand, der mir den Busen 
durchtobt!
Aber auch sie verlang ich zurück, die schmerzliche 
Freude,
Wenn die Sorge sich kalt, gräßlich gelassen, mir naht.
Nicht der Erinnyen Fackel, das Bellen der höllischen 
Hunde
Schreckt den Verbrecher so in der Verzweiflung 
Gefild,
Als das gelaßne Gespenst mich schreckt, das die 
Schöne von fern mir
Zeiget: die Türe steht wirklich des Gartens noch auf!
Und ein anderer kommt! Für ihn auch fallen die 
Früchte!
Und die Feige gewährt stärkenden Honig auch ihm!
Lockt sie auch ihn nach der Laube? und folgt er? O 
macht mich, ihr Götter,
Blind, verwischet das Bild jeder Erinnrung in mir!
Ja, ein Mädchen ist siel und die sich geschwinde dem 
einen
Gibt, sie kehret sich auch schnell zu dem andern 
herum.
Lache nicht diesmal, Zeus, der frech gebrochenen 
Schwüre!
Donnere schrecklicher! Triff! - Halte die Blitze 
zurück!
Sende die schwankenden Wolken mir nach! Im 
nächtlichen Dunkel
Treffe dein leuchtender Blitz diesen unglücklichen 
Mast!
Streue die Planken umher, und gib der tobenden 
Welle
Diese Waren, und mich gib den Delphinen zum 
Raub! -
Nun, ihr Musen, genug! Vergebens strebt ihr zu 
schildern,
Wie sich Jammer und Glück wechseln in liebender 
Brust.
Heilen könnet die Wunden ihr nicht, die Amor 
geschlagen;
Aber Linderung kommt einzig, ihr Guten, von euch.

Der neue Pausias
und sein Blumenmädchen

Pausias von Sicyon, der Maler, war als Jüngling in 
Glyceren, seine Mitbürgerin, verliebt, welche Blu-
menkränze zu winden einen, sehr erfinderischen Geist
hatte. Sie wetteiferten miteinander, und er brachte die 
Nachahmung der Blumen zur größten Mannigfaltig-
keit. Endlich malte er seine Geliebte, sitzend, mit 
einem Kranze beschäftigt. Dieses Bild wurde für eins 
seiner besten gehalten und die Kranzwinderin oder 
Kranzhändlerin genannt, weil Glycere sich auf diese 
Weise als ein armes Mädchen ernährt hatte. Lucius 
Lucullus kaufte eine Kopie in Athen für zwei Talente.
(Plinius. B. XXXV. K. XL)

Sie
Schütte die Blumen nur her, zu meinen Füßen und 
deinen!
Welch ein chaotisches Bild holder Verwirrung du 
streust!

Er
Du erscheinest als Liebe, die Elemente zu knüpfen;
Wie du sie bindest, so wird nun erst ein Leben 
daraus.
Sie
Sanft berühre die Rose, sie bleib im Körbchen 
verborgen;
Wo ich dich finde, mein Freund, öffentlich reich ich 
sie dir.

Er
Und ich tu, als kennt ich dich nicht, und danke dir 
freundlich;
Aber dem Gegengeschenk weichet die Geberin aus.

Sie
Reiche die Hyazinthe mir nun und reiche die Nelke,
Daß die frühe zugleich neben der späteren sei.

Er
Laß im blumigen Kreise zu deinen Füßen mich sitzen,
Und ich fülle den Schoß dir mit der lieblichen Schar.

Sie
Reichte den Faden mir erst; dann sollen die 
Gartenverwandten
Die sich von ferne nur sahn, nebeneinander sich freun.

Er
Was bewundr' ich zuerst? was zuletzt? die herrlichen 
Blumen?
Oder der Finger Geschick? oder der Wählerin Geist?

Sie
Gib auch Blätter, den Glanz der blendenden Blumen 
zu mildern;
Auch das Leben verlangt ruhige Blätter im Kranz.

Er
Sage, was wählst du so lange bei diesem Strauße? 
Gewiß ist
Dieser jemand geweiht, den du besonders bedenkst.

Sie
Hundert Sträuße verteil ich des Tags und Kränze die 
Menge;
Aber den schönsten doch bring ich am Abende dir.

Er
Acht wie wäre der Maler beglückt, der diese Gewinde
Malte, das blumige Feld, ach! und die Göttin zuerst!

Sie
Aber doch mäßig beglückt ist der, mich dünkt, der am
Boden
Hier sitzt, dem ich den Kuß reichend noch glücklichEr
bin.

Er
Ach, Geliebte, noch einen! Die neidischen Lüfte des 
Morgens
Nahmen den ersten sogleich mir von den Lippen 
hinweg.

Sie
Wie der Frühling die Blumen mir gibt, so geb ich die 
Küsse
Gern dem Geliebten; und hier sei mit dem Kusse der 
Kranz!

Er
Hätt ich das hohe Talent des Pausias glücklich 
empfangen:
Nachzubilden den Kranz wär ein Geschäfte des Tags!

Sie
Schön ist er wirklich. Sieh ihn nur an! Es wechseln 
die schönstEr
Kinder Florens um ihn, bunt und gefällig, den Tanz.

Er
In die Kelche versenkt ich mich dann und erschöpfte 
den süßen
Zauber, den die Natur über die Kronen ergoß.

Sie
Und so fänd ich am Abend noch frisch den 
gebundenen Kranz hier;
Unverwelklich spräch uns von der Tafel er an.

Er
Ach, wie fühl ich mich arm und unvermögend! wie 
wünscht ich
Festzuhalten das Glück, das mir die Augen versengt!

Sie
Unzufriedener Mann! Du bist ein Dichter und neidest
Jenes Alten Talent? Brauche das deinige doch!

Er
Und erreicht wohl der Dichter den Schmelz der 
farbigen Blumen?
Neben deiner Gestalt bleibt nur ein Schatten sein 
Wort!

Sie
Aber vermag der Maler wohl auszudrücken: ich liebe!
Nur dich lieb ich, mein Freund! lebe für dich nur 
allein!

Er
Ach, und der Dichter selbst vermag nicht zu sagen: 
ich liebe!
Wie du, himmlisches Kind, süß mir es schmeichelst 
ins Ohr.

Sie
Viel vermögen sie beide; doch bleibt die Sprache des 
Kusses,
Mit der Sprache des Blicks, nur den Verliebten 
geschenkt.

Er
Du vereinigest alles; du dichtest und malest mit 
Blumen:
Florens Kinder sind dir Farben und Worte zugleich

Sie
Nur ein vergängliches Werk entwindet der Hand sich 
des Mädchens
Jeden Morgen; die Pracht welkt vor dem Abende 
schon.

Er
Auch so geben die Götter vergängliche Gaben und 
locken
Mit erneutem Geschenk immer die Sterblichen an.

Sie
Hat dir doch kein Strauß, kein Kranz des Tages 
gefehlet
Seit dem ersten, der dich mir so von Herzen verband.

Er
Ja, noch hängt er zu Hause, der erste Kranz, in der 
Kammer,
Welchen du mir, den Schmaus lieblich umwandelnd, 
gereicht.

Sie
Da ich den Becher dir kränzte, die Rosenknospe 
hineinfiel,
Und du trankest und riefst: »Mädchen, die Blumen 
sind Gift«

Er
Und dagegen du sagtest: »Sie sind voll Honig, die 
Blumen;
Aber die Biene nur findet die Süßigkeit aus.«

Sie
Und der rohe Timanth ergriff mich und sagte: »Die 
Hummeln
Forschen des herrlichen Kelchs süße Geheimnisse 
wohl?«

Er
Und du wandtest dich weg und wolltest fliehen; es 
stürzten
Vor dem täppischen Mann Körbchen und Blumen 
hinab.

Sie
Und du riefst ihm gebietend: »Das Mädchen laß nur! 
die Sträuße,
So wie das Mädchen selbst, sind für den feineren 
Sinn.«

Er
Aber fester hielt er dich nur; es grinste der Lacher,
Und dein Kleid zerriß oben vom Nacken herab.

Sie
Und du warfst in begeisterter Wut den Becher 
hinüber,
Daß er am Schädel ihm, häßlich vergossen, erklang.

Er
Wein und Zorn verblendeten mich; doch sah ich den 
weißen
Nacken, die herrliche Brust, die du bedecktest, im 
Blick.

Sie
Welch ein Getümmel ward und ein Aufstand! Purpurn
das Blut lief,
Mit dem Weine vermischt, greulich dem Gegner vom 
Haupt.

Er
Dich nur sah ich, nur dich am Boden kniend, 
verdrießlich;
Mit der einen Hand hieltst das Gewand du hinauf.

Sie
Ach, da flogen die Teller nach dir! Ich sorgte, den 
edeln
Fremdling träfe der Wurf kreisend geschwungnen 
Metalls.

Er
Und doch sah ich nur dich, wie rasch mit der anderen 
Hand du
Körbchen, Blumen und Kranz sammeltest unter dem 
Stuhl.

Sie
Schützend tratest du vor, daß nicht mich verletzte der 
Zufall,
Oder der zornige Wirt, weil ich das Mahl ihm gestört.

Er
Ja, ich erinnre mich noch; ich nahm den Teppich wie 
einer,
Der auf dem linken Arm gegen den Stier ihn bewegt.

Sie
Ruhe gebot der Wirt und sinnige Freunde. Da 
schlüpft ich
Sachte hinaus; nach dir wendet ich immer den Blick.

Er
Ach, du warst mir verschwunden ! Vergebens sucht 
ich in allen
Winkeln des Hauses herum, so wie auf Straßen und 
Markt.

Sie
Schamhaft blieb ich verborgen. Das unbescholtene 
Mädchen,
Sonst von den Bürgern geliebt, war nun das Märchen 
des Tags.

Er
Blumen sah ich genug und Sträuße, Kränze die 
Menge;
Aber du fehltest mir, aber du fehltest der Stadt.

Sie
Stille saß ich zu Hause. Da blätterte los sich vom 
Zweige
Manche Rose, so auch dorrte die Nelke dahin.

Er
Mancher Jüngling sprach auf dem Platz: »Da liegen 
die Blumen!
Aber die Liebliche fehlt, die sie verbände zum 
Kranz.«

Sie
Kränze band ich indessen zu Haus, und ließ sie 
verwelken.
Siehst du? da hangen sie noch, neben dem Herde, für 
dich.

Er
Auch so welkte der Kranz, dein erstes Geschenk! Ich 
vergaß nicht
Ihn im Getümmel, ich hing neben dem Bett mir ihn 
auf.

Sie
Abends betrachtet ich mir die welkenden, saß noch 
und weinte,
Bis in der dunkelen Nacht Farbe nach Farbe verlosch.

Er
Irrend ging ich umher und fragte nach deiner 
Behausung;
Keiner der Eitelsten selbst konnte mir geben 
Bescheid.

Sie
Keiner hat je mich besucht, und keiner weiß die 
entlegne
Wohnung; die Größe der Stadt birget die Ärmere 
leicht.

Er
Irrend lief ich umher und flehte zur spähenden Sonne:
Zeige mir, mächtiger Gott, wo du im Winkel ihr 
scheinst!

Sie
Große Götter hörten dich nicht; doch Penia hört' es.
Endlich trieb die Not nach dem Gewerbe mich aus.

Er
Trieb nicht noch dich ein anderer Gott, den 
Beschützer zu suchen?
Hatte nicht Amor für uns wechselnde Pfeile 
getauscht?

Sie
Spähend sucht ich dich auf bei vollem Markt, und ich 
sah dicht

Er
Und es hielt das Gedräng keines der Liebenden auf.

Sie
Schnell wir teilten das Volk, wir kamen zusammen, 
du standest,

Er
Und du standest vor mir, ja ! und wir waren allein.

Sie
Mitten unter den Menschen! sie schienen nur 
Sträucher und Bäume,

Er
Und mir schien ihr Getös nur ein Geriesel des Quells.

Sie
Immer allein sind Liebende sich in der größten 
Versammlung;
Aber sind sie zu zwein, stellt auch der dritte sich ein.

Er
Amor, ja! er schmückt sich mit diesen herrlichen 
Kränzen.
Schütte die Blumen nun doch fort, aus dem Schoße 
den Rest!

Sie
Nun, ich schüttle sie weg, die schönen. In deiner 
Umarmung,
Lieber, geht mir auch heut wieder die Sonne nur auf.

Euphrosyne

Auch von des höchsten Gebirgs beeisten, zackigen 
Gipfeln
Schwindet Purpur und Glanz scheidender Sonne 
hinweg.
Lange verhüllt schon Nacht das Tal und die Pfade des
Wandrers
Der am tosenden Strom auf zu der Hütte sich sehnt,
Zu dem Ziele des Tags, der stillen hirtlichen 
Wohnung;
Und der göttliche Schlaf eilet gefällig voraus,
Dieser holde Geselle des Reisenden. Daß er auch 
heute
Segnend kränze das Haupt mir mit dem heiligen 
Mohn!
Aber was leuchtet mir dort vom Felsen glänzend 
herüber
Und erhellet den Duft schäumender Ströme so hold?
Strahlt die Sonne vielleicht durch heimliche Spalten 
und Klüfte.
Denn kein irdischer Glanz ist es, der wandelnde, dort.
Näher wälzt sich die Wolke, sie glüht. Ich staune dem
Wunder!
Wird der rosige Strahl nicht ein bewegtes Gebild?
Welche Göttin nahet sich mir? und welche der Musen
Suchet den treuen Freund selbst in dem grausen 
Geklüft?
Schöne Göttin, enthülle dich mir, und täusche, 
verschwindend,
Nicht den begeisterten Sinn, nicht das gerührte 
Gemüt.
Nenne, wenn du es darfst vor einem Sterblichen, 
deinen
Göttlichen Namen, wo nicht: rege bedeutend mich 
auf,
Daß ich fühle, welche du seist von den ewigen 
Töchtern
Zeus', und der Dichter sogleich preise dich würdig im 
Lied.
»Kennst du mich, Guter, nicht mehr? und käme diese 
Gestalt dir,
Die du doch sonst geliebt, schon als ein fremdes 
Gebild?
Zwar der Erde gehör ich nicht mehr, und trauernd 
entschwang sich
Schon der schaudernde Geist jugendlich frohem 
Genuß;
Aber ich hoffte mein Bild noch fest in des Freundes 
Erinnrung
Eingeschrieben und noch schön durch die Liebe 
verklärt.
Ja, schon sagt mir gerührt dein Blick, mir sagt es die 
Träne:
Euphrosyne, sie ist noch von dem Freunde gekannt.
Sieh, die Scheidende zieht durch Wald und grauses 
Gebirge,
Sucht den wandernden Mann, ach! in der Ferne noch 
auf;
Sucht den Lehrer, den Freund, den Vater, blicket noch
einmal
Nach dem leichten Gerüst irdischer Freuden zurück.
Laß mich der Tage gedenken, da mich, das Kind, du 
dem Spiele
Jener täuschenden Kunst reizender Musen geweiht.
Laß mich der Stunde gedenken und jedes kleineren 
Umstands.
Ach, wer ruft nicht so gern Unwiederbringliches an!
Jenes süße Gedränge der leichtesten irdischen Tage,
Ach, wer schätzt ihn genug, diesen vereilenden Wert!
Klein erscheinet es nun, doch acht nicht kleinlich dem
Herzen;
Macht die Liebe, die Kunst jegliches Kleine doch 
groß.
Denkst du der Stunde noch wohl, wie auf dem 
Brettergerüste
Du mich der höheren Kunst ernstere Stufen geführt?
Knabe schien ich, ein rührendes Kind, du nanntest 
mich Arthur
Und belebtest in mir britisches Dichtergebild,
Drohtest mit grimmiger Glut den armen Augen und 
wandtest
Selbst den tränenden Blick, innig getäuschet, hinweg.
Ach! da warst du so hold und schütztest ein trauriges 
Leben,
Das die verwegene Flucht endlich dem Knaben entriß.
Freundlich faßtest du mich, den Zerschmetterten, 
trugst mich von dannen,
Und ich heuchelte lang, dir an dem Busen, den Tod.
Endlich schlug die Augen ich auf und sah dich, in 
ernste,
Stille Betrachtung versenkt, Über den Liebling 
geneigt.
Kindlich strebt ich empor und küßte die Hände dir 
dankbar,
Reichte zum reinen Kuß dir den gefälligen Mund.
Fragte: 'Warum, mein Vater, so ernst? Und hab ich 
gefehlet,
Oh! so zeige mir an, wie mir das Beßre gelingt.
Keine Mühe verdrießt mich bei dir, und alles und 
jedes
Wiederhol ich so gern, wenn du mich leitest und 
lehrst.'
Aber du faßtest mich stark und drücktest mich fester 
im Arme,
Und es schauderte mir tief in dem Busen das Herz.
'Nein! mein liebliches Kind', so riefst du, 'alles und 
jedes,
Wie du es heute gezeigt, zeig es auch morgen der 
Stadt.
Rühre sie alle, wie mich du gerührt, und es fließen 
zum Beifall
Dir von dem trockensten Aug herrliche Tränen herab.
Aber am tiefsten trafst du doch mich, den Freund, der 
im Arm dich
Hält, den selber der Schein früherer Leiche 
geschreckt.
Ach, Natur, wie sicher und groß in allem erscheinst 
du!
Himmel und Erde befolgt ewiges, festes Gesetz,
Jahre folgen auf Jahre, dem Frühlinge reichet der 
Sommer,
Und dem reichlichen Herbst traulich der Winter die 
Hand.
Felsen stehen gegründet, es stürzt sich das ewige 
WassEr
Aus der bewölkten Kluft schäumend und brausend 
hinab.
Fichten grünen so fort, und selbst die entlaubten 
Gebüsche
Hegen, im Winter schon, heimliche Knospen am 
Zweig.
Alles entsteht und vergeht nach Gesetz; doch über des
Menschen
Leben, dem köstlichen Schatz, herrschet ein 
schwankendes Los.
Nicht dem blühenden nickt der willig scheidende 
Vater,
Seinem trefflichen Sohn, freundlich vom Rande der 
Gruft;
Nicht der Jüngere schließt dem Älteren immer das 
Auge,
Das sich willig gesenkt, kräftig dem Schwächeren zu.
Öfter, ach verkehrt das Geschick die Ordnung der 
Tage;
Hülflos klaget ein Greis Kinder und Enkel umsonst,
Steht, ein beschädigter Stamm, dem rings 
zerschmetterte Zweige
Um die Seiten umher strömende Schloßen gestreckt.
Und so, liebliches Kind, durchdrang mich die tiefe 
Betrachtung,
Als du, zur Leiche verstellt, über die Arme mir hingst;
Aber freudig seh ich dich mir in dem Glanze der 
Jugend,
Vielgeliebtes Geschöpf, wieder am Herzen belebt.
Springe fröhlich dahin, verstellter Knabe! Das 
Mädchen
Wächst zur Freude der Welt, mir zum Entzücken 
heran.
Immer strebe so fort, und deine natürlichen Gaben
Bilde, bei jeglichem Schritt steigenden Lebens, die 
Kunst.
Sei mir lange zur Lust, und eh mein Auge sich 
schließet,
Wünsch ich dein schönes Talent glücklich vollendet 
zu sehn.'-
Also sprachst du, und nie vergaß ich der wichtigen 
Stunde!
Deutend entwickelt ich mich an dem erhabenen Wort.
O wie sprach ich so gerne zum Volk die rührenden 
Reden,
Die du, voller Gehalt, kindlichen Lippen vertraut!
O wie bildet ich mich an deinen Augen und suchte
Dich im tiefen Gedräng staunender Hörer heraus!
Doch dort wirst du nun sein und stehn, und nimmer 
bewegt sich
Euphrosyne hervor, dir zu erheitern den Blick.
Du vernimmst sie nicht mehr, die Töne des 
wachsenden Zöglings,
Die du zu liebendem Schmerz frühe, so frühe! 
gestimmt.
Andere kommen und gehn; es werden dir andre 
gefallen,
Selbst dem großen Talent drängt sich ein größeres 
nach.
Aber du, vergesse mich nicht! Wenn eine dir jemals
Sich im verworrnen Geschäft heiter entgegenbewegt,
Deinem Winke sich fügt, an deinem Lächeln sich 
freuet
Und am Platze sich nur, den du bestimmtest, gefällt,
Wenn sie Mühe nicht spart noch Fleiß, wenn tätig dEr
Kräfte,
Selbst bis zur Pforte des Grabs, freudiges Opfer sie 
bringt
Guter! dann gedenkest du mein und rufest auch spät 
noch:
'Euphrosyne, sie ist wieder erstanden vor mir!'
Vieles sagt ich noch gern; doch ach! die Scheidende 
weilt nicht,
Wie sie wollte; mich führt streng ein gebietender 
Gott.
Lebe wohl schon zieht mich's dahin in schwankendem
Eilen.
Einen Wunsch nur vernimm, freundlich gewähre mir 
ihn:
Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten 
hinabgehn!
Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod.
Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneias
Reiche, massenweis, Schatten, vom Namen getrennt;
Wen der Dichter aber gerühmt, der wandelt, gestaltet,
Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu.
Freudig tret ich einher, von deinem Liede verkündet,
Und der Göttin Blick weilet gefällig auf mir.
Mild empfängt sie mich dann und nennt mich; es 
winken die hohen
Göttlichen Frauen mich an, immer die nächsten am 
Thron.
Penelopeia redet zu mir, die treuste der Weiber,
Auch Euadne, gelehnt auf den geliebten Gemahl.
Jüngere nahen sich dann, zu früh Heruntergesandte,
Und beklagen mit mir unser gemeines Geschick.
Wenn Antigone kommt, die schwesterlichste der 
Seelen,
Und Polyxena, trüb noch von dem bräutlichen Tod,
Seh ich als Schwestern sie an und trete würdig zu 
ihnen;
Denn der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind sie.
Bildete doch ein Dichter auch mich; und seine 
Gesänge,
Ja, sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt.«
Also sprach sie, und noch bewegte der liebliche Mund
sich,
Weiter zu reden; allein schwirrend versagte der Ton.
Denn aus dem Purpurgewölk, dem schwebenden, 
immer bewegten,
Trat der herrliche Gott Hermes gelassen hervor,
Mild erhob er den Stab und deutete; wallend 
verschlangen
Wachsende Wolken im Zug beide Gestalten vor mir.
Tiefer liegt die Nacht um mich her; die stürzenden 
WassEr
Brausen gewaltiger nun neben dem schlüpfrigen Pfad.
Unbezwingliche Trauer befällt mich, entkräftender 
Jammer,
Und ein moosiger Fels stützet den Sinkenden nur.
Wehmut reißt durch die Saiten der Brust; die 
nächtlichen Tränen
Fließen, und über dem Wald kündet der Morgen sich 
an.

Das Wiedersehn

Er
Süße Freundin, noch einen, nur einen Kuß noch 
gewähre
Diesen Lippen! Warum bist du mir heute so karg?
Gestern blühte wie heute der Baum; wir wechselten 
Küsse
Tausendfältig; dem Schwarm Bienen verglichst du Sie
ja,
Wie sie den Blüten sich nahn und saugen, schweben 
und wieder
Saugen, und lieblicher Ton süßen Genusses erschallt.
Alle noch üben das holde Geschäft. Und wäre der 
Frühling
Uns vorübergeflohn, eh sich die Blüte zerstreut?

Sie
Träume, lieblicher Freund, nur immer! rede von 
gestern
Gerne hör ich dich an, drücke dich redlich ans Herz.
Gestern, sagst du? - Es war, ich weiß, ein köstliches 
Gestern;
Worte verklangen im Wort, Küsse verdrängten den 
Kuß.
Schmerzlich war's, zu scheiden am Abende, traurig 
die lange
Nacht von gestern auf heut, die den Getrennten gebot.
Doch der Morgen kehret zurück. Ach! daß mir 
indessen
Zehnmal, leider! der Baum Blüten und Früchte 
gebracht!

Amyntas

Nikias, trefflicher Mann, du Arzt des Leibs und der 
Seele!
Krank, ich bin es fürwahr; aber dein Mittel ist hart.
Ach, mir schwanden die Kräfte dahin, dem Rate zu 
folgen;
Ja, und es scheinet der Freund schon mir ein Gegner 
zu sein.
Widerlegen kann ich dich nicht; ich sage mir alles,
Sage das härtere Wort, das du verschweigest, mir 
auch.
Aber, ach! das Wasser entstürzt der Steile des Felsens
Rasch, und die Welle des Bachs halten Gesänge nicht
auf.
Rast nicht unaufhaltsam der Sturm? und wälzet die 
Sonne
Sich, von dem Gipfel des Tags, nicht in die Wellen 
hinab?
Und so spricht mir rings die Natur: »Auch du bist, 
Amyntas,
Unter das strenge Gesetz ehrner Gewalten gebeugt.«
Runzle die Stirne nicht tiefer, mein Freund, und höre 
gefällig,
Was mich gestern ein Baum dort an dem Bache 
gelehrt.
Wenig Äpfel trägt er mir nur, der sonst so beladne;
Sieh, der Efeu ist schuld, der ihn gewaltig umgibt.
Und ich faßte das Messer, das krummgebogene, 
scharfe,
Trennte schneidend und riß Ranke nach Ranken 
herab;
Aber ich schauderte gleich, als tief erseufzend und 
kläglich
Aus den Wipfeln zu mir lispelnde Klage sich goß:
»O verletze mich nicht! den treuen Gartengenossen,
Dem du, als Knabe, so früh, manche Genüsse 
verdankt.
O verletze mich nicht! du reißest mit diesem 
Geflechte,
Das du gewaltig zerstörst, grausam das Leben mir 
aus.
Hab ich nicht selbst sie genährt und sanft sie herauf 
mir erzogen?
Ist wie mein eigenes Laub nicht mir das ihre 
verwandt?
Soll ich nicht lieben die Pflanze, die, meiner einzig 
bedürftig,
Still mit begieriger Kraft mir um die Seite sich 
schlingt?
Tausend Ranken wurzelten an, mit tausend und 
tausend
Fasern senket sie fest mir in das Leben sich ein.
Nahrung nimmt sie von mir; was ich bedürftig, 
genießt sie,
Und so saug sie das Mark, sauget die Seele mir aus.
Nur vergebens nähr ich mich noch; die gewaltige 
Wurzel
Sendet lebendigen Safts, ach ! nur die Hälfte hinauf.
Denn der gefährliche Gast, der geliebteste, maßet 
behende
Unterweges die Kraft herbstlicher Früchte sich an.
Nichts gelangt zur Krone hinauf, die äußersten Wipfel
Dorren, es dorret der Ast über dem Bache schon hin.
Ja, die Verräterin ist's! sie schmeichelt mir Leben und
Güter,
Schmeichelt die strebende Kraft, schmeichelt die 
Hoffnung mir ab.
Sie nur fühl ich, nur sie, die umschlingende, freue der 
Fesseln,
Freue des tötenden Schmucks, fremder Umlaubung 
mich nur.«
Halte das Messer zurück! o Nikias, schone den 
Armen,
Der sich in liebender Lust, willig gezwungen, 
verzehrt!
Süß ist jede Verschwendung; o laß mich der 
schönsten genießen!
Wer sich der Liebe vertraut, hält er sein Leben zu 
Rat?

Die Metamorphose der Pflanzen

Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung
Dieses Blumengewühls über dem Garten umher;
Viele Namen hörest du an, und immer verdränget
Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr.
Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der 
andern,
Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,
Auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche 
Freundin,
Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort !
Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich 
die Pflanze,
Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht.
Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der 
Erde
Stille befruchtender Schoß hold in das Leben entläßt
Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig 
bewegten,
Gleich den zärtesten Lau keimender Blätter empfiehlt.
Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein 
beginnendes Vorbild
Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,
Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und 
farblos;
Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt,
Quillet strebend empor, sich milder Feuchte 
vertrauend,
Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.
Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten 
Erscheinung;
Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das 
Kind.
Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, 
erneuet,
Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild.
Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig 
erzeugt sich,
Ausgebildet, du siehst's, immer das folgende Blatt,
Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und 
Teile,
Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ.
Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte 
Vollendung,
Die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen 
bewegt.
Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender 
Fläche,
Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu 
sein.
Doch hier hält die Natur, mit mächtigen Händen, die 
Bildung
An und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin.
Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße,
Und gleich zeigt die Gestalt zärtere Wirkungen an.
Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder 
zurücke,
Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus.
Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere 
Stengel,
Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an.
Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne
Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin.
Um die Achse gedrängt, entscheidet der bergende 
Kelch sich,
Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt.
Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung,
Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft.
Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel 
die Blume
Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter 
bewegt.
Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens 
Verkündung.
Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand.
Und zusammen zieht es sich schnell; die zärtesten 
Formen,
Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt.
Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen,
Zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar.
Hymen schwebet herbei, und herrliche Düfte, 
gewaltig,
Strömen süßen Geruch, alles belebend, umher.
Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige Keime,
Hold in den Mutterschoß schwellender Früchte 
gehüllt.
Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen 
Kräfte;
Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an,
Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge
Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei.
Wende nun, o Geliebte, den Blick zum bunten 
Gewimmel,
Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste 
bewegt.
Jede Pflanze verkündet dir nun die ew'gen Gesetze,
Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.
Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern,
Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug.
Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile 
geschäftig,
Bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte 
Gestalt.
O gedenke denn auch, wie aus dem Keim der 
Bekanntschaft
Nach und nach in uns holde Gewohnheit entsproß,
Freundschaft sich mit Macht aus unserm Innern 
enthüllte,
Und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt.
Denke, wie mannigfach bald die, bald jene Gestalten,
Still entfaltend, Natur unsern Gefühlen geliehn!
Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe
Strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen 
auf,
Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem 
Anschaun
Sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt.

Hermann und Dorothea

Also das wäre Verbrechen, daß einst Properz mich 
begeistert,
Daß Martial sich zu mir auch, der verwegne, gesellt?
Daß ich die Alten nicht hinter mir ließ, die Schule zu 
hüten,
Daß sie nach Latium gern mir in das Leben gefolgt?
Daß ich Natur und Kunst zu schaun mich treulich 
bestrebe,
Daß kein Name mich täuscht, daß mich kein Dogma 
beschränkt?
Daß nicht des Lebens bedingender Drang mich, den 
Menschen, verändert,
Daß ich der Heuchelei dürftige Maske verschmäht?
Solcher Fehler, die du, o Muse, so emsig gepfleget,
Zeihet der Pöbel mich; Pöbel nur sieht er in mir.
Ja, sogar der Bessere selbst, gutmütig und bieder,
Will mich anders; doch du, Muse, befiehlst mir allein.
Denn du bist es allein, die noch mir die innere Jugend
Frisch erneuest und sie mir bis zu Ende versprichst.
Aber verdopple nunmehr, o Göttin, die heilige 
Sorgfalt!
Ach! die Scheitel umwallt reichlich die Locke nicht 
mehr:
Da bedarf man der Kränze, sich selbst und andre zu 
täuschen;
Kränzte doch Cäsar selbst nur aus Bedürfnis das 
Haupt.
Hast du ein Lorbeerreis mir bestimmt, so laß es am 
Zweige
Weiter grünen, und gib einst es dem Würdigern hin;
Aber Rosen winde genug zum häuslichen Kranze;
Bald als Lilie schlingt silberne Locke sich durch.
Schüre die Gattin das Feuer, auf reinlichem Herde zu 
kochen!
Werfe der Knabe das Reis, spielend, geschäftig dazu!
Laß im Becher nicht fehlen den Wein! Gesprächige 
Freunde,
Gleichgesinnte, herein! Kränze, sie warten auf euch.
Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom 
Namen Homeros
Kühn uns befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn.
Denn wer wagte mit Göttern den Kampf? und wer mit
dem Einen?
Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist 
schön.
Darum höret das neuste Gedicht! Noch einmal 
getrunken!
Euch besteche der Wein, Freundschaft und Liebe das 
Ohr.
Deutschen selber führ ich euch zu, in die stillere 
Wohnung,
Wo sich, nah der Natur, menschlich der Mensch noch 
erzieht.
Uns begleite des Dichters Geist, der seine Luise
Rasch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, 
verband.
Auch die traurigen Bilder der Zeit, sie führ ich 
vorüber;
Aber es siege der Mut in dem gesunden Geschlecht.
Hab ich euch Tränen ins Auge gelockt und Lust in die
Seele
Singend geflößt, so kommt, drücket mich herzlich ans
Herz!
Weise denn sei das Gespräch ! Uns lehret Weisheit 
am Ende
Das Jahrhundert; wen hat das Geschick nicht geprüft?
Blicket heiterer nun auf jene Schmerzen zurücke,
Wenn euch ein fröhlicher Sinn manches entbehrlich 
erklärt.
Menschen lernten wir kennen und Nationen; so laßt 
uns,
Unser eigenes Herz kennend, uns dessen erfreun.

 

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