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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte 
(Ausgabe letzter Hand. 1827)

Kunst

Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)

Zuerst im Druck veröffentlicht in Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1-4: Gedichte, Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1827. 

Kunst

Bilde, Künstler! Rede nicht!
Nur ein Hauch sei dein Gedicht.

 

 


Die Nektartropfen

Als Minerva, jenen Liebling,
Den Prometheus, zu begünst'gen,
Eine volle Nektarschale
Von dem Himmel niederbrachte,
Seine Menschen zu beglücken
Und den Trieb zu holden Künsten
Ihrem Busen einzuflößen,
Eilte sie mit schnellen Füßen,
Daß sie Jupiter nicht sähe;
Und die goldne Schale schwankte,
Und es fielen wenig Tropfen
Auf den grünen Boden nieder.

Emsig waren drauf die Bienen
Hinterher und saugten fleißig;
Kam der Schmetterling geschäftig,
Auch ein Tröpfchen zu erhaschen;
Selbst die ungestalte Spinne
Kroch herbei und sog gewaltig.

Glücklich haben sie gekostet,
Sie und andre zarte Tierchen!
Denn sie teilen mit dem Menschen
Nun das schönste Glück, die Kunst.

Der Wandrer

Wandrer
Und den säugenden Knaben
An deiner Brust!
Laß mich an der Felsenwand hier
In des Ulmbaums Schatten
Meine Bürde werfen,
Neben dir ausruhn.

Frau
Welch Gewerbe treibt dich
Durch des Tages Hitze
Den staubigen Pfad her?
Bringst du Waren aus der Stadt
Im Land herum?
Lächelst, Fremdling,
Über meine Frage?

Wandrer
Keine Waren bring ich aus der Stadt.
Kühl wird nun der Abend.
Zeige mir den Brunnen,
Draus du trinkest,
Liebes junges Weib!

Frau
Hier den Felsenpfad hinauf.
Geh voran! Durchs Gebüsche
Geht der Pfad nach der Hütte,
Drin ich wohne,
Zu dem Brunnen,
Den ich trinke.

Wandrer
Spuren ordnender Menschenhand
Zwischen dem Gesträuch!
Diese Steine hast du nicht gefügt,
Reichhinstreuende Natur!

Frau
Weiter hinauf!

Wandrer
Von dem Moos gedeckt ein Architrav!
Ich erkenne dich, bildender Geist!
Hast dein Siegel in den Stein geprägt.

Frau
Weiter, Fremdling!

Wandrer
Eine Inschrift, über die ich trete!
Nicht zu lesen!
Weggewandelt seid ihr,
Tiefgegrabne Worte,
Die ihr eures Meisters Andacht
Tausend Enkeln zeigen solltet.

Frau
Staunest, Fremdling,
Diese Stein' an?
Droben sind der Steine viel
Um meine Hütte.

Wandrer
Droben?

Frau
Gleich zur Linken
Durchs Gebüsch hinan;
Hier.

Wandrer
Ihr Musen und Grazien!

Frau
Das ist meine Hütte.

Wandrer
Eines Tempels Trümmer!
Frau
Hier zur Seit hinab
Quillt der Brunnen,
Den ich trinke.

Wandrer
Glühend webst du
Über deinem Grabe,
Genius! Über dir
Ist zusammengestürzt
Dein Meisterstück,
O du Unsterblicher!

Frau
Wart, ich hole das Gefäß
Dir zum Trinken.

Wandrer
Efeu hat deine schlanke
Götterbildung umkleidet.
Wie du emporstrebst
Aus dem Schutte,
Säulenpaar! Und du, einsame Schwester dort!
Wie ihr,
Düstres Moos auf dem heiligen Haupt,
Majestätisch trauernd herabschaut
Auf die zertrümmerten
Zu euern Füßen,
Eure Geschwister!
In des Brombeergesträuches Schatten
Deckt sie Schutt und Erde,
Und hohes Gras wankt drüber hin.
Schätzest du so, Natur,
Deines Meisterstücks Meisterstück?
Unempfindlich zertrümmerst du
Dein Heiligtum?
Säest Disteln drein?

Frau
Wie der Knabe schläft!
Willst du in der Hütte ruhn,
Fremdling? Willst du hier
Lieber in dem Freien bleiben?
Es ist kühl! Nimm den Knaben,
Daß ich Wasser schöpfen gehe.
Schlafe, Lieber! schlaf!

Wandrer
Süß ist deine Ruh!
Wie's, in himmlischer Gesundheit
Schwimmend, ruhig atmet!
Du, geboren über Resten
Heiliger Vergangenheit,
Ruh ihr Geist auf dir!
Welchen der umschwebt,
Wird in Götterselbstgefühl
Jedes Tags genießen.
Voller Keim, blüh auf,
Des glänzenden Frühlings
Herrlicher Schmuck,
Und leuchte vor deinen Gesellen!
Und welkt die Blütenhülle weg,
Dann steig aus deinem Busen
Die volle Frucht
Und reife der Sonn entgegen

Frau
Gesegne's Gott! - Und schläft er noch?
Ich habe nichts zum frischen Trunk
Als ein Stück Brot, das ich dir bieten kann.

Wandrer
Ich danke dir.
Wie herrlich alles blüht umher
Und grünt!

Frau
Mein Mann wird bald
Nach Hause sein
Vom Feld. O bleibe, bleibe, Mann!
Und iß mit uns das Abendbrot.

Wandrer
Ihr wohnet hier?

Frau
Da, zwischen dem Gemäuer her.
Die Hütte baute noch mein Vater
Aus Ziegeln und des Schuttes Steinen.
Hier wohnen wir.
Er gab mich einem Ackersmann
Und starb in unsern Armen. -
Hast du geschlafen, liebes Herz?
Wie er munter ist und spielen will!
Du Schelm!

Wandrer
Natur! du ewig keimende,
Schaffst jeden zum Genuß des Lebens,
Hast deine Kinder alle mütterlich
Mit Erbteil ausgestattet, einer Hütte.
Hoch baut die Schwalb an das Gesims,
Unfühlend, welchen Zierat
Sie verklebt;
Die Raup umspinnt den goldnen Zweig
Zum Winterhaus für ihre Brut;
Und du flickst zwischen der Vergangenheit
Erhabne Trümmer
Für deine Bedürfniss'
Eine Hütte, o Mensch,
Genießest über Gräbern! -
Leb wohl, du glücklich Weib!

Frau
Du willst nicht bleiben?

Wandrer
Gott erhalt euch,
Segn' euern Knaben!

Frau
Glück auf den Weg!

Wandrer
Wohin führt mich der Pfad
Dort übern Berg?

Frau
Nach Cuma.

Wandrer
Wie weit ist's hin?

Frau
Drei Meilen gut.

Wandrer
Leb wohl!
O leite meinen Gang, Natur!
Den Fremdlings-Reisetritt,
Den über Gräber
Heiliger Vergangenheit
Ich wandle.
Leit ihn zum Schutzort,
Vorm Nord gedeckt,
Und wo dem Mittagsstrahl
Ein Pappelwäldchen wehrt.
Und kehr ich dann
Am Abend heim
Zur Hütte,
Vergoldet vom letzten Sonnenstrahl,
Laß mich empfangen solch ein Weib,
Den Knaben auf dem Arm!

Künstlers Morgenlied

Der Tempel ist euch aufgebaut,
Ihr hohen Musen all,
Und hier in meinem Herzen ist
Das Allerheiligste.

Wenn morgens mich die Sonne weckt,
Warm, froh ich schau umher,
Steht rings ihr Ewiglebenden
Im heil'gen Morgenglanz.

Ich bet hinan, und Lobgesang
Ist lauter mein Gebet,
Und freudeklingend Saitenspiel
Begleitet mein Gebet.

Ich trete vor den Altar hin
Und lese, wie sich's ziemt,
Andacht liturg'scher Lektion
Im heiligen Homer.

Und wenn er ins Getümmel mich
Von Löwenkriegern reißt
Und Göttersöhn auf Wagen hoch
Rachglühend stürmen an

Und Roß dann vor dem Wagen stürzt
Und drunter und drüber sich
Freund', Feinde wälzen in Todesblut -
Er sengte sie dahin

Mit Flammenschwert, der Heldensohn,
Zehntausend auf einmal,
Bis dann auch er, gebändiget
Von einer Götterhand,

Ab auf den Rogus niederstürzt,
Den er sich selbst gehäuft,
Und Feinde nun den schönen Leib
Verschändend tasten an:

Da greif ich mutig auf, es wird
Die Kohle zum Gewehr,
Und jene meine hohe Wand
In Schlachtfeldwogen braust.

Hinan! Hinan! Es heulet laut
Gebrüll der Feindeswut,
Und Schild an Schild, und Schwert auf Helm,
Und um den Toten Tod.

Ich dränge mich hinan, hinan,
Da kämpfen sie um ihn,
Die tapfern Freunde, tapferer
In ihrer Tränenwut.

Ach, rettet! Kämpfet! Rettet ihn!
Ins Lager tragt ihn fort,
Und Balsam gießt dem Toten auf
Und Tränen Totenehr!

Und find ich mich zurück hierher,
Empfängst du, Liebe, mich,
Mein Mädchen, ach, im Bilde nur
Und so im Bilde warm!

Ach, wie du ruhtest neben mir
Und schmachtetest mich an,
Und mir's vom Aug durchs Herz hindurch
Zum Griffel schmachtete!

Wie ich an Aug und Wange mich
Und Mund mich weidete,
Und mir's im Busen jung und frisch,
Wie einer Gottheit, war !

O kehre doch und bleibe dann
In meinen Armen fest,
Und keine, keine Schlachten mehr,
Nut dich in meinem Arm!

Und sollst mir, meine Liebe, sein
Alldeutend Ideal,
Madonna sein, ein Erstlingskind,
Ein heiligs, an der Brust;

Und haschen will ich, Nymphe, dich
Im tiefen Waldgebüsch;
O fliehe nicht die rauhe Brust,
Mein aufgerecktes Ohr!

Und liegen will ich Mars zu dir,
Du Liebesgöttin stark,
Und ziehn ein Netz um uns herum
Und rufen dem Olymp,

Wer von den Göttern kommen will,
Beneiden unser Glück,
Und soll's die Fratze Eifersucht,
Am Bettfuß angebannt.

Amor als Landschaftsmaler

Saß ich früh auf einer Felsenspitze,
Sah mit starren Augen in den Nebel;
Wie ein grau grundiertes Tuch gespannet,
Deckt' er alles in die Breit und Höhe.

Stellt' ein Knabe sich mir an die Seite,
Sagte: »Lieber Freund, wie magst du starrend
Auf das leere Tuch gelassen schauen?
Hast du denn zum Malen und zum Bilden
Alle Lust auf ewig wohl verloren?«

Sah ich an das Kind und dachte heimlich:
Will das Bübchen doch den Meister machen!
»Willst du immer trüb und müßig bleiben«,
Sprach der Knabe, »kann nichts Kluges werden:
Sieh, ich will dir gleich ein Bildchen malen,
Dich ein hübsches Bildchen malen lehren.«

Und er richtete den Zeigefinger,
Der so rötlich war wie eine Rose,
Nach dem weiten, ausgespannten Teppich,
Fing mit seinem Finger an zu zeichnen:

Oben malt' er eine schöne Sonne,
Die mir in die Augen mächtig glänzte,
Und den Saum der Wolken macht' er golden,
Ließ die Strahlen durch die Wolken dringen;
Malte dann die zarten, leichten Wipfel
Frisch erquickter Bäume, zog die Hügel,
Einen nach dem andern, frei dahinter;
Unten ließ er's nicht an Wasser fehlen,
Zeichnete den Fluß so ganz natürlich,
Daß er schien im Sonnenstrahl zu glitzern,
Daß er schien am hohen Rand zu rauschen.

Ach, da standen Blumen an dem Flusse,
Und da waren Farben auf der Wiese,
Gold und Schmelz und Purpur und ein Grünes,
Alles wie Smaragd und wie Karfunkel!
Hell und rein lasiert' er drauf den Himmel
Und die blauen Berge fern und ferner,
Daß ich ganz entzückt und neu geboren
Bald den Maler, bald das Bild beschaute.

»Hab ich doch«, so sagt' er, »dir bewiesen,
Daß ich dieses Handwerk gut verstehe;
Doch es ist das Schwerste noch zurücke.«
Zeichnete darnach mit spitzem Finger
Und mit großer Sorgfalt an dem Wäldchen,
Grad ans Ende, wo die Sonne kräftig
Von dem hellen Boden widerglänzte,
Zeichnete das allerliebste Mädchen,
Wohlgebildet, zierlich angekleidet,
Frische Wangen unter braunen Haaren,
Und die Wangen waren von der Farbe
Wie das Fingerchen, das sie gebildet.

»O du Knabe!« rief ich, »welch ein Meister
Hat in seine Schule dich genommen,
Daß du so geschwind und so natürlich
Alles klug beginnst und gut vollendest?«

Da ich noch so rede, sieh, da rühret
Sich ein Windchen und bewegt die Gipfel,
Kräuselt alle Wellen auf dem Flusse,
Füllt den Schleier des vollkommnen Mädchens,
Und was mich Erstaunten mehr erstaunte,
Fängt das Mädchen an, den Fuß zu rühren,
Geht zu kommen, nähert sich dem Orte,
Wo ich mit dem losen Lehrer sitze.

Da nun alles, alles sich bewegte,
Bäume, Fluß und Blumen und der Schleier
Und der zarte Fuß der Allerschönsten:
Glaubt ihr wohl, ich sei auf meinem Felsen
Wie ein Felsen still und fest geblieben?

Künstlers Abendlied

Ach, daß die innre Schöpfungskraft
Durch meinen Sinn erschölle!
Daß eine Bildung voller Saft
Aus meinen Fingern quölle!

Ich zittre nur, ich stottre nur
Und kann es doch nicht lassen;
Ich fühl, ich kenne dich, Natur,
Und so muß ich dich fassen.

Bedenk ich dann, wie manches Jahr
Sich schon mein Sinn erschließet,
Wie er, wo dürre Heide war,
Nun Freudenquell genießet,

Wie sehn ich mich, Natur, nach dir,
Dich treu und lieb zu fühlen!
Ein lust'ger Springbrunn, wirst du mir
Aus tausend Röhren spielen.

Wirst alle meine Kräfte mir
In meinem Sinn erheitern
Und dieses enge Dasein hier
Zur Ewigkeit erweitern.

Kenner und Künstler

Kenner
Gut! Brav, mein Herr! Allein
Die linke Seite
Nicht ganz gleich der rechten;
Hier scheint es mir zu lang
Und hier zu breit;
Hier zuckt's ein wenig,
Und die Lippe
Nicht ganz Natur,
So tot noch alles!

Künstler
O ratet! Helft mir,
Daß ich mich vollende!
Wo ist der Urquell der Natur,
Daraus ich schöpfend
Himmel fühl und Leben
In die Fingerspitzen hervor?
Daß ich mit Göttersinn
Und Menschenhand
Vermöge zu bilden,
Was bei meinem Weib
Ich animalisch kann und muß.

Kenner
Da sehen Sie zu.

Künstler
So!

Kenner und Enthusiast

Ich fahrt einen Freund zum Maidel jung,
Wollt ihm zu genießen geben,
Was alles es hätt, gar Freud genung,
Frisch junges, warmes Leben.
Wir fanden sie sitzen an ihrem Bett,
Tät sich auf ihr Händlein stützen.
Der Herr, der macht' ihr ein Kompliment,
Tät gegen ihr über sitzen.
Er spitzt die Nase, er sturt sie an,
Betracht' sie herüber, hinüber:
Und um mich war's gar bald getan,
Die Sinnen gingen mir über.

Der liebe Herr für allen Dank
Führt mich drauf in eine Ecken
Und sagt, sie wär doch allzu schlank
Und hätt auch Sommerflecken.
Da nahm ich von meinem Kind Adieu,
Und scheidend sah ich in die Höh:
»Ach Herre Gott, ach Herre Gott,
Erbarm dich doch des Herren!«

Da führt ich ihn in die Galerie
Voll Menschenglut und Geistes;
Mir wird's da gleich, ich weiß nicht wie,
Mein ganzes Herz zerreißt es.
»O Maler! Maler!« rief ich laut,
»Belohn dir Gott dein Malen!
Und nur die allerschönste Braut
Kann dich für uns bezahlen.«

Und sieh, da ging mein Herr herum
Und stochert' sich die Zähne,
Registriert' in Katalogum
Mir meine Göttersöhne.
Mein Busen war so voll und bang,
Von hundert Welten trächtig;
Ihm war bald was zu kurz, zu lang,
Wägt' alles gar bedächtig.

Da warf ich in ein Eckchen mich,
Die Eingeweide brannten.
Um ihn versammelten Männer sich,
Die ihn einen Kenner nannten.

Monolog des Liebhabers

Was nutzt die glühende Natur
Vor deinen Augen dir,
Was nutzt dir das Gebildete
Der Kunst rings um dich her,
Wenn liebevolle Schöpfungskraft
Nicht deine Seele füllt
Und in den Fingerspitzen dir
Nicht wieder bildend wird?

Guter Rat

Geschieht wohl, daß man einen Tag
Weder sich noch andre leiden mag,
Will nichts dir nach dem Herzen ein;
Sollt's in der Kunst wohl anders sein?
Drum hetze dich nicht zur schlimmen Zeit,
Denn Füll und Kraft sind nimmer weit:
Hast in der bösen Stund geruht,
Ist dir die gute doppelt gut.

Sendschreiben

Mein altes Evangelium
Bring ich dir hier schon wieder;
Doch ist mir's wohl um mich herum,
Darum schreib ich dir's nieder.

Ich holte Gold, ich holte Wein,
Stellt alles da zusammen.
Da, dacht ich, da wird Wärme sein,
Geht mein Gemäld in Flammen!

Auch tät ich bei der Schätze Flor
Viel Glut und Reichtum schwärmen;
Doch Menschenfleisch geht allem vor,
Um sich daran zu wärmen.

Und wer nicht richtet, sondern fleißig ist,
Wie ich bin und wie du bist,
Den belohnt auch die Arbeit mit Genuß;
Nichts wird auf der Welt ihm Überdruß.
Denn er blecket nicht mit stumpfem Zahn
Lang Gesottnes und Gebratnes an,
Das er, wenn er noch so sittlich kaut,
Endlich doch nicht sonderlich verdaut;
Sondern faßt ein tüchtig Schinkenbein,
Haut da gut taglöhnermäßig drein,
Füllt bis oben gierig den Pokal,
Trinkt, und wischt das Maul wohl nicht einmal.

Sieh, so ist Natur ein Buch lebendig,
Unverstanden, doch nicht unverständlich:
Denn dein Herz hat viel und groß Begehr,
Was wohl in der Welt für Freude wär,
Allen Sonnenschein und alle Bäume,
Alles Meergestad und alle Träume
In dein Herz zu sammeln miteinander,
Wie die Welt durchwühlend Banks, Solander.

Und wie muß dir's werden, wenn du fühlest,
Daß du alles in dir selbst erzielest,
Freude hast an deiner Frau und Hunden,
Als noch keiner in Elysium gefunden,
Als er da mit Schatten lieblich schweifte
Und an goldne Gottgestalten streifte.
Nicht in Rom, in Magna Graecia,
Dir im Herzen ist die Wonne da!
Wer mit seiner Mutter, der Natur, sich hält,
Findt im Stengelglas wohl eine Welt.

Künstlers Fug und Recht

Ein frommer Maler mit vielem Fleiß
Hatte manchmal gewonnen den Preis,
Und manchmal ließ er's auch geschehn,
Daß er einem bessern nach mußt stehn;
Hatte seine Tafeln fortgemalt,
Wie man sie lobt, wie man sie bezahlt.
Da kamen einige gut hinaus;
Man baut' ihn' sogar ein Heiligenhaus.

Nun fand er Gelegenheit einmal,
Zu malen eine Wand im Saal;
Mit emsigen Zügen er staffiert',
Was öfters in der Welt passiert;
Zog seinen Umriß leicht und klar,
Man konnte sehn, was gemeint da war.
Mit wenig Farben er koloriert',
Doch so, daß er das Aug frappiert.
Er glaubt' es für den Platz gerecht
Und nicht zu gut und nicht zu schlecht,
Daß es versammelte Herrn und Fraun
Möchten einmal mit Lust beschaun;
Zugleich er auch noch wünscht' und wollt,
Daß man dabei was denken sollt.

Als nun die Arbeit fertig war,
Da trat herein manch Freundespaar,
Das unsers Künstlers Werke liebt
Und darum desto mehr betrübt,
Daß an der losen, leidigen Wand
Nicht auch ein Götterbildnis stand.
Die setzten ihn sogleich zur Red,
Warum er so was malen tät,
Da doch der Saal und seine Wänd
Gehörten nur für Narrenhänd;
Er sollte sich nicht lassen verführen
Und nun auch Bänk und Tische beschmieren;
Er sollte bei seinen Tafeln bleiben
Und hübsch mit seinem Pinsel schreiben;
Und sagten ihm von dieser Art
Noch viel Verbindlichs in den Bart.

Er sprach darauf bescheidentlich:
»Eure gute Meinung beschämet mich.
Es freut mich mehr nichts auf der Welt,
Als wenn euch je mein Werk gefällt.
Da aber aus eigenem Beruf
Gott der Herr allerlei Tier' erschuf,
Daß auch sogar das wüste Schwein,
Kröten und Schlangen vom Herren sein,
Und er auch manches nur ebauchiert
Und gerade nicht alles ausgeführt
(Wie man den Menschen denn selbst nicht scharf
Und nur en gros betrachten darf):
So hab ich als ein armer Knecht
Vom sündlich menschlichen Geschlecht
Von Jugend auf allerlei Lust gespürt
Und mich in allerlei exerziert,
Und so durch Übung und durch Glück
Gelang mir, sagt ihr, manches Stück.
Nun dächt ich, nach vielem Rennen und Laufen
Dürft einer auch einmal verschnaufen,
Ohne daß jeder gleich, der wohl ihm wollt,
Ihn 'nen faulen Bengel heißen sollt.

Drum ist mein Wort zu dieser Frist,
Wie's allezeit gewesen ist:
Mit keiner Arbeit hab ich geprahlt,
Und was ich gemalt hab, hab ich gemalt.«

Groß ist die Diana der Epheser

Apostelgeschichte 19, 39

Zu Ephesus ein Goldschmied saß
In seiner Werkstatt, pochte,
So gut er konnt, ohn Unterlaß,
So zierlich er's vermochte.
Als Knab und Jüngling kniet' er schon
Im Tempel vor der Göttin Thron
Und hatte den Gürtel unter den Brüsten,
Worin so manche Tiere nisten,
Zu Hause treulich nachgefeilt,
Wie's ihm der Vater zugeteilt;
Und leitete sein kunstreich Streben
In frommer Wirkung durch das Leben.

Da hört er denn auf einmal laut
Eines Gassenvolkes Windesbraut,
Als gäb's einen Gott so im Gehirn,
Da, hinter des Menschen alberner Stirn,
Der sei viel herrlicher als das Wesen,
An dem wir die Breite der Gottheit lesen.

Der alte Künstler horcht nur auf,
Läßt seinen Knaben auf den Markt den Lauf,
Feilt immer fort an Hirschen und Tieren,
Die seiner Gottheit Kniee zieren;
Und hofft, es könnte das Glück ihm walten,
Ihr Angesicht würdig zu gestalten.


Will's aber einer anders halten,
So mag er nach Belieben schalten;
Nur soll er nicht das Handwerk schänden;
Sonst wird er schlecht und schmählich enden.

1

Wahnsinn ruft man dem Kalchas, und Wahnsinn ruft 
man Kassandren,
Eh man nach Ilion zog, wenn man von Ilion kommt.
Wer kann hören das Morgen und Übermorgen? Nicht 
einer!
Denn was gestern und ehgestern gesprochen - wer 
hört's?

2

Lang und schmal ist ein Weg. Sobald du ihn gehest, 
so wird er
Breiter; aber du ziehst Schlangengewinde dir nach.
Bist du ans Ende gekommen, so werde der 
schreckliche Knoten
Dir zur Blume, und du gib sie dem Ganzen dahin.

3

Nicht Zukünftiges nur verkündet Bakis; auch jetzt 
noch
Still Verborgenes zeigt er, als ein Kundiger, an.
Wünschelruten sind hier, sie zeigen am Stamm nicht 
die Schätze;
Nur in der fühlenden Hand regt sich das magische 
Reis.

4

Wenn sich der Hals des Schwanes verkürzt und, mit 
Menschengesichte,
Sich der prophetische Gast über den Spiegel bestrebt,
Läßt den silbernen Schleier die Schöne dem Nachen 
entfallen,
Ziehen dem schwimmenden gleich goldene Ströme 
sich nach.

5

Zweie seh ich! den Großen! ich seh den Größern! Die 
beiden
Reiben, mit feindlicher Kraft, einer den andern sich 
auf.
Hier ist Felsen und Land, und dort sind Felsen und 
Wellen!
Welcher der Größere sei, redet die Parze nur aus.

6

Kommt ein wandernder Fürst, auf kalter Schwelle zu 
schlafen,
Schlinge Ceres den Kranz, stille verflechtend, um ihn;
Dann verstummen die Hunde; es wird ein Geier ihn 
wecken,
Und ein tätiges Volk freut sich des neuen Geschicks.

7

Sieben gehn verhüllt und sieben mit offnem Gesichte.
Jene fürchtet das Volk, fürchten die Großen der Welt.
Aber die andern sind's, die Verräter! von keinem 
erforschet;
Denn ihr eigen Gesicht birget als Maske den Schalk.

8

Gestern war es noch nicht, und weder heute noch 
morgen
Wird es, und jeder verspricht Nachbarn und Freunden
es schon;
Ja, er verspricht es den Feinden. So edel gehn wir ins 
neue
Säk'lum hinüber, und leer bleibet die Hand und der 
Mund.

9

Mäuse laufen zusammen auf offnem Markte; der 
Wandrer
Kommt, auf hölzernem Fuß, vierfach und klappernd 
heran.
Fliegen die Tauben der Saat in gleichem Momente 
vorüber:
Dann ist, Tola, das Glück unter der Erde dir hold.

10

Einsam schmückt sich zu Hause mit Gold und Seide 
die Jungfrau;
Nicht vom Spiegel belehrt, fühlt sie das schickliche 
Kleid.
Tritt sie hervor, so gleicht sie der Magd; nur einer von
allen
Kennt sie; es zeiget sein Aug ihr das vollendete Bild.

11

Ja, vom Jupiter rollt ihr, mächtig strömende Fluten,
Über Ufer und Damm, Felder und Gärten mit fort.
Einen seh ich! Er sitzt und harfeniert der Verwüstung;
Aber der reißende Strom nimmt auch die Lieder 
hinweg.

12

Mächtig bist du! gebildet zugleich, und alles verneigt 
sich,
Wenn du mit herrlichem Zug über den Markt dich 
bewegst.
Endlich ist er vorüber. Da lispelt fragend ein jeder:
»War denn Gerechtigkeit auch in der Tugenden Zug?«

13

Mauern seh ich gestürzt, und Mauern seh ich 
errichtet,
Hier Gefangene, dort auch der Gefangenen viel.
Ist vielleicht nur die Welt ein großer Kerker? und frei 
ist
Wohl der Tolle, der sich Ketten zu Kränzen erkiest.
14

Laß mich ruhen, ich schlafe. - »Ich aber wache.« - 
Mitnichten! -
»Träumst du?« - Ich werde geliebt! - »Freilich, du 
redest im Traum.« -
Wachender, sage, was hast du?- »Da sieh nur alle die 
Schätze!« -
Sehen soll ich? Ein Schatz, wird er mit Augen 
gesehn?

15

Schlüssel liegen im Buche zerstreut, das Rätsel zu 
lösen;
Denn der prophetische Geist ruft den Verständigen 
an.
Jene nenn ich die Klügsten, die leicht sich vom Tage 
belehren
Lassen; es bringt wohl der Tag Rätsel und Lösung 
zugleich.

16

Auch Vergangenes zeigt euch Bakis; denn selbst das 
Vergangne
Ruht, verblendete Welt, oft als ein Rätsel vor dir.
Wer das Vergangene kennte, der wüßte das Künftige; 
beides
Schließt an heute sich rein als ein Vollendetes an.

17

Tun die Himmel sich auf und regnen, so träufelt das 
Wasser
Über Felsen und Gras, Mauern und Bäume zugleich.
Kehret die Sonne zurück, so verdampfet vom Steine 
die Wohltat;
Nur das Lebendige hält Gabe der Göttlichen fest.

18

Sag, was zählst du? - »Ich zähle, damit ich die Zehne
begreife,
Dann ein andres Zehn, Hundert und Tausend 
hernach.« -
Näher kommst du dazu, sobald du mir folgest. - 
»Und wie denn?« -
Sage zur Zehne: sei zehn ! Dann sind die Tausende 
dein.

19

Hast du die Welle gesehen, die über das Ufer 
einherschlug?
Siehe die zweite, sie kommt! rollet sich sprühend 
schon aus!
Gleich erhebt sich die dritte! Fürwahr, du erwartest 
vergebens,
Daß die letzte sich heut ruhig zu Füßen dir legt.

20

Einem möcht ich gefallen! so denkt das Mädchen; den
Zweiten
Find ich edel und gut, aber er reizet mich nicht.
Wäre der Dritte gewiß, so wäre mir dieser der liebste.
Ach, daß der Unbestand immer das Lieblichste bleibt

21

»Blaß erscheinest du mir und tat dem Auge. Wie rufst
du
Aus der innern Kraft heiliges Leben empor?«
Wär ich dem Auge vollendet, so könntest du ruhig 
genießen;
Nur der Mangel erhebt über dich selbst dich hinweg.

22

Zweimal färbt sich das Haar; zuerst aus dem Blonden 
ins Braune,
Bis das Braune sodann silbergediegen sich zeigt.
Halb errate das Rätsel! so ist die andere Hälfte
Völlig dir zu Gebot, daß du die erste bezwingst.

23

Was erschrickst du? - »Hinweg, hinweg mit diesen 
Gespenstern!
Zeige die Blume mir doch; zeig mir ein 
Menschengesicht!
Ja, nun seh ich die Blumen; ich sehe die 
Menschengesichter.«
Aber ich sehe dich nun selbst als betrognes Gespenst.
24

Einer rollet daher; es stehen ruhig die neune:
Nach vollendetem Lauf liegen die viere gestreckt.
Helden finden es schön, gewaltsam treffend zu 
wirken;
Denn es vermag nur ein Gott, Kegel und Kugel zu 
sein.

25

Wieviel Äpfel verlangst du für diese Blüten? - »Ein 
Tausend;
Denn der Blüten sind wohl zwanzig der Tausende 
hier.
Und von zwanzig nur einen, das find ich billig.« - 
Du bist schon
Glücklich, wenn du dereinst einen von tausend 
behältst.

26

»Sprich, wie werd ich die Sperlinge los?« so sagte der
Gärtner,
»Und die Raupen dazu, ferner das Käfergeschlecht,
Maulwurf, Erdfloh, Wespe, die Würmer, das 
Teufelsgezüchte?«
Laß sie nur alle, so frißt einer den anderen auf.

27

»Klingeln hör ich: es sind die lustigen 
Schlittengeläute.
Wie sich die Torheit doch selbst in der Kälte noch 
rührt!«
Klingeln hörst du? Mich deucht, es ist die eigene 
Kappe,
Die sich am Ofen dir leis um die Ohren bewegt.

28

Seht den Vogel! er fliegt von einem Baume zum 
andern,
Nascht mit geschäftigem Pick unter den Früchten 
umher.
Frag ihn, er plappert auch wohl und wird dir offen 
versichern,
Daß er der hehren Natur herrliche Tiefen erpickt.

29

Eines kenn ich verehrt, ja angebetet zu Fuße;
Auf die Scheitel gestellt, wird es von jedem verflucht.
Eines kenn ich, und fest bedruckt es zufrieden die 
Lippe:
Doch in dem zweiten Moment ist es der Abscheu der 
Welt.

30

Dieses ist es, das Höchste, zu gleicher Zeit das 
Gemeinste;
Nun das Schönste, sogleich auch das Abscheulichste 
nun.
Nur im Schlürfen genieße du das, und koste nicht 
tiefer:
Unter dem reizenden Schaum sinket die Neige zu 
Grund.

31

Ein beweglicher Körper erfreut mich, ewig gewendet
Erst nach Norden und dann ernst nach der Tiefe 
hinab.
Doch ein andrer gefällt mir nicht so; er gehorchet den 
Winden,
Und sein ganzes Talent löst sich in Bücklingen auf.

32

Ewig wird er euch sein der Eine, der sich in Viele
Teilt und Einer jedoch, ewig der Einzige bleibt.
Findet in Einem die Vielen, empfindet die Vielen wie 
Einen,
Und ihr habt den Beginn, habet das Ende der Kunst.

 

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