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Johann Wolfgang

von


Goethe

(1749-1832)

Johann Wolfgang von Goethe

Gedichte 
(Ausgabe letzter Hand. 1827)

Kunst

Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827)

Zuerst im Druck veröffentlicht in Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand, Bd. 1-4: Gedichte, Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1827. 

Kunst

 


Künstlerlied

Aus den »Wanderjahren«

Zu erfinden, zu beschließen Bleibe,
Künstler, oft allein,
Deines Wirkens zu genießen,
Eile freudig zum Verein!
Dort im Ganzen schau, erfahre
Deinen eignen Lebenslauf,
Und die Taten mancher Jahre
Gehn dir in dem Nachbar auf.

Der Gedanke, das Entwerfen,
Die Gestalten, ihr Bezug,
Eines wird das andre schärfen,
Und am Ende sei's genug!
Wohl erfunden, klug ersonnen,
Schön gebildet, zart vollbracht,
So von jeher hat gewonnen
Künstler kunstreich seine Macht.

Wie Natur im Vielgebilde
Einen Gott nur offenbart,
So im weiten Kunstgefilde
Webt ein Sinn der ew'gen Art;
Dieses ist der Sinn der Wahrheit,
Der sich nur mit Schönem schmückt
Und getrost der höchsten Klarheit
Hellsten Tags entgegenblickt.

Wie beherzt in Reim und Prose
Redner, Dichter sich ergehn,
Soll des Lebens heitre Rose
Frisch auf Malertafel stehn,
Mit Geschwistern reich umgeben,
Mit des Herbstes Frucht umlegt,
Daß sie von geheimem Leben
Offenbaren Sinn erregt.

Tausendfach und schön entfließe
Form aus Formen deiner Hand,
Und im Menschenbild genieße,
Daß ein Gott sich hergewandt.
Welch ein Werkzeug ihr gebrauchet,
Stellet euch als Brüder dar;
Und gesangweis flammt und rauchet
Opfersäule vom Altar.

Antike

Homer ist lange mit Ehren genannt,
Jetzt ward euch Phidias bekannt;
Nun hält nichts gegen beide Stich,
Darob ereifre niemand sich.


Seid willkommen, edle Gäste,
Jedem echten deutschen Sinn;
Denn das Herrlichste, das Beste
Bringt allein dem Geist Gewinn.

Begeisterung

Fassest du die Muse nur beim Zipfel,
Hast du wenig nur getan;
Geist und Kunst auf ihrem höchsten Gipfel
Muten alle Menschen an.

Studien

Nachahmung der Natur
- Der schönen -,
Ich ging auch wohl auf dieser Spur;
Gewöhnen
Mocht ich wohl nach und nach den Sinn,
Mich zu vergnügen;
Allein sobald ich mündig bin -
Es sind's die Griechen!

Typus

Es ist nichts in der Haut,
Was nicht im Knochen ist.
Vor schlechtem Gebilde jedem graut,
Das ein Augenschmerz ihm ist.

Was freut denn jeden? Blühen zu sehn,
Das von innen schon gut gestaltet;
Außen mag's in Glätte, mag in Farben gehn,
Es ist ihm schon voran gewaltet.

Ideale

Der Maler wagt's mit Götterbildern,
Sein Höchstes hat er aufgestellt;
Doch was er für unmöglich hält:
Dem Liebenden die Liebste schildern,
Er wag es auch! Ein Traum wird frommen,
Ein Schattenbild ist hoch willkommen.

Abwege

Künstler, wird's im Innern steif,
Das ist nicht erfreulich;
Auch der vagen Züge Schweif
Ist uns ganz abscheulich;
Kommst du aber auf die Spur,
Daß du's nicht getroffen,
Zu der wahren Kunstnatur
Steht der Pfad schon offen.
Modernes

»Wie aber kann sich Hans van Eyck
Mit Phidias nur messen?«
Ihr müßt, so lehr ich, alsogleich
Einen um den andern vergessen.

Denn wärt ihr stets bei einer geblieben,
Wie könntet ihr noch immer lieben?
Das ist die Kunst, das ist die Welt,
Daß eins ums andere gefällt.

Museen

An Bildern schleppt ihr hin und her
Verlornes und Erworbnes;
Und bei dem Senden kreuz und quer
Was bleibt uns denn? - Verdorbnes!

 

Wilhelm Tischbeins Idyllen

 

Titelbild

Wie seit seinen Jünglingsjahren
Unser Tischbein sich ergeht,
Wie er Berg und Tal befahren,
Stets an rechter Stelle steht;
Was er sieht, weiß mitzuteilen,
Was er dichtet, ebenfalls;
Faunen bringt er auch zuweilen,
Frauen doch auf allen Zeilen
Des poetisch-plastischen Alls:
Also war es an der Tiber,
Wo dergleichen wir geübt,
Und noch wirkt dieselbe Fiber,
Freund dem Freunde gleich geliebt.

1

Würdige Prachtgebäude stürzen,
Mauer fällt, Gewölbe bleiben,
Daß nach tausendjähr'gem Treiben
Tor und Pfeiler sich verkürzen.
Dann beginnt das Leben wieder,
Boden mischt sich neuen Saaten,
Rank auf Ranke senkt sich nieder;
Der Natur ist's wohlgeraten.

2

Schön und menschlich ist der Geist,
Der uns in das Freie weist,
Wo in Wäldern, auf der Flur,
Wie im steilen Berggehänge,
Sonnenauf- und - untergänge
Preisen Gott und die Natur.

3

Wenn in Wäldern Baum an Bäumen,
Bruder sich mit Bruder nähret,
Sei das Wandern, sei das Träumen
Unverwehrt und ungestöret;
Doch wo einzelne Gesellen
Zierlich miteinander streben,
Sich zum schönen Ganzen stellen,
Das ist Freude, das ist Leben.

4

Mitten in dem Wasserspiegel
Hob die Eiche sich empor,
Majestätisch Fürstensiegel
Solchem grünen Waldesflor;
Sieht sich selbst zu ihren Füßen,
Schaut den Himmel in der Flut:
So des Lebens zu genießen,
Einsamkeit ist höchstes Gut.

5

Harren seht ihr sie, die Schönen,
Was durchs Ohr das Herz ergreife.
Flöte wird für diese tönen,
Für die andern Pans Gepfeife.

6

Heute noch im Paradiese
Weiden Lämmer auf der Wiese,
Hüpft von Fels zu Fels die Ziege;
Milch und Obst nach ew'ger Weise
Bleibt der Alt' und Jungen Speise;

Mutterarm ist Kinderwiege,
Vaterflöte spricht ans Ohr,
Und Natur ist's nach wie vor;
Wo ihr huldiget der Holden,
Erd und Himmel silbern, golden.
Darum Heil dem Freunde sei,
Der sich fühlt so treu und frei!

7

Was die Alten pfeifen,
Das wird ein Kind ergreifen,
Was die Väter sungen,
Das zwitschern muntere Jungen.
O möchten sie zum Schönen
Sich früh und früh gewöhnen,

Und wären sie geboren
Den ziegenfüßigen Ohren.

8

Edel-ernst, ein Halbtier, liegend,
Im Beschauen, im Besinnen,
Hin und her im Geiste wiegend,
Denkt er, Großes zu gewinnen.
Ach, er möchte gern entfliehen
Solchem Auftrag, solcher Würde;
Einen Helden zu erziehen
Wird Zentauren selbst zur Bürde.

9

Was wir froh und dankbar fühlen,
Wenn es auch am Ende quält,
Was wir lechzen zu erzielen,
Wo es Herz und Sinnen fehlt:
Heitre Gegend, groß gebildet,
Jugendschritt an Freundesbrust,
Wechselseitig abgemildet,
Holder Liebe Schmerzenslust -
Alles habt ihr nun empfangen,
Irdisch war's und in der Näh;
Sehnsucht aber und Verlangen
Hebt vom Boden in die Höh.
An der Quelle sind's Najaden,
Sind Sylphiden in der Luft,
Leichter fühlt ihr euch im Baden,
Leichter noch in Himmelsduft;
Und das Plätschern und das Wallen,
Ein und andres zieht euch an;
Lasset Lied und Bild verhallen,
Doch im Innern ist's getan.

10

Jetzo wallen sie zusammen,
Kühle kühlt und birgt die Flammen,
Tiefer unten werden Hirten
Sich zum Wonnebad entgürten:
Um den Schönsten von den dreien
Werden beide sich entzweien.
Diese fließt in offner Schwüle,
Jene zu gewohnter Kühle
Sucht den Liebsten in der Mühle.

11

Was sich nach der Erde senkte,
Was sich an den Boden hielt,
Was den Äther nicht erreicht,
Seht, wie es empor sich schwenkte,
Wie's auf Rohr und Ranken spielt!
Künstlerwille macht es leicht.

12

Wenn um das Götterkind Auroren
In Finsternis werden Rosen geboren,
Sie fleucht, so leicht, so hoch gemeint,
Die Sonne ihr auf die Fersen scheint.
Das ist denn doch das wahre Leben,
Wo in der Nacht auch Blüten schweben.

13

Ohne menschliche Gebrechen,
Göttergleich, mit heiterm Sinn,
Tauig Moos und Wasserflächen
Überschreitend, schwebt sie hin.
Heute floh sie, floh wie gestern,
Riß der Muse sich vom Schoß;
Ach, sie hat so lästige Schwestern,
Peinlich werden wir sie los.

14

Wirket Stunden leichten Webens,
Lieblich lieblichen begegnend, Zettel,
Einschlag längsten Lebens,
Scheidend, kommend, grüßend, segnend.

15

Ruhig Wasser, grause Höhle,
Bergeshöh und ernstes Licht,
Seltsam, wie es unsrer Seele
Schauderhafte Laute spricht.
So erweist sich wohl Natur,
Künstlerblick vernimmt es nur.

16

In dem lieblichsten Gewirre,
Wo das Bild um Bilder summt,
Dichterblick wird scheu und irre,
Und die Leier, sie verstummt.

17

Die Lieblichen sind hier zusammen,
Es ist doch gar zuviel der Flammen.
Der Überfluß erregt nur Pein,
Es sollten alle nur eine sein.

18

»Was trauern denn die guten Kinder?
Sie sind so jung, da hilft's geschwinder.«
Habt ihr's vergessen, alte Kinder?
Es schmerzt im Augenblick nicht minder.

19

Glücklicher Künstler! in himmlischer Luft
Bewegen sich ihm schöne Weiber.
Versteht er sich doch auf Rosenduft
Und appetitliche Leiber.

20

Hier hat Tischbein nach seiner Art
Striche gar wunderlich gepaart;
Sie sind nicht alle deutlich zu lesen,
Sind aber alles Gedanken gewesen.

21

Wie herrlich ist die Welt! wie schön!
Heil ihm, der je sie so gesehn!

Zu Gemälden einer Kapelle

So wie Moses, kaum geboren,
Gewissem Tode bestimmt,
Wunderbar ward gerettet:
So mancher, schon halb verloren,
Da der Feind eindrang ergrimmt,
Ward wieder froh und glücklich gebettet.

Johannes erst in der Wüste predigt:
»Seht Gottes Lamm, das von Sünden erledigt.«
Nun deutet er in die himmlischen Auen:
»Dort sollt ihr den Herrn, den erlösenden, schauen.«

Kore

Nicht gedeutet!

 

Ob Mutter? Tochter? Schwester? Enkelin?
Von Helios gezeugt? Von wer geboren?
Wohin gewandert? Wo versteckt? Verloren?
Gefunden? - Rätsel ist's dem Künstlersinn.
Und ruhte sie verhüllt in düstre Schleier,
Vom Rauch umwirbelt acherontischer Feuer,
Die Gott-Natur enthüllt sich zum Gewinn:
Nach höchster Schönheit muß die Jungfrau streben,
Sizilien verleiht ihr Götterleben.

Zu meinen Handzeichnungen

I

Einsamste Wildnis

Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken,
Und Welt und ich, wir schwelgten im Entzücken;
So duftig war, belebend, immer frisch
Wie Fels, wie Strom, so Bergwald und Gebüsch.
Doch unvermögend Streben, Nachgelalle
Bracht oft den Stift, den Pinsel bracht's zu Falle;
Auf neues Wagnis endlich blieb doch nur
Vom besten Wollen halb und halbe Spur.

Ihr Jüngern aber, die ihr unverzagt
Unausgesprochnes auszusprechen wagt,
Den Sinn, woran die Hand sich stotternd maß,
Das Unvermögen liebevoll vergaß,
Ihr seid es, die, was ich und ihr gefehlt,
Dem weiten Kreis der Kunstwelt nicht verhehlt.
Und wie dem Walde geht's den Blättern allen,
Sie knospen, grünen, welken ab und fallen.

 

II

Hausgarten

Hier sind wir denn vorerst ganz still zu Haus,
Von Tür zu Türe sieht es lieblich aus;
Der Künstler froh die stillen Blicke hegt,
Wo Leben sich zum Leben freundlich regt.
Und wie wir auch durch fremde Lande ziehn,
Da kommt es her, da kehrt es wieder hin;
Wir wenden uns, wie auch die Welt entzücke,
Der Enge zu, die uns allein beglücke.

 

III

Freie Welt

Wir wandern ferner auf bekanntem Grund,
Wir waren jung, hier waren wir gesund
Und schlenderten den Sommerabend lang
Mit halber Hoffnung mannigfalt'gen Gang.
Und wie man kam, so ging man nicht zurück:
Begegnen ist ein höchstes Liebeglück.
Und zwei zusammen sehen Fluß und Bahn
Und Berg und Busch sogleich ganz anders an.
Und wer dieselben Pfade wandernd schleicht,
Sei ihm des Zieles holder Wunsch erreicht!

 

IV

Geheimster Wohnsitz

Wie das erbaut war, wie's im Frieden lag,
Es kommt vielleicht vom Altertum zu Tag:
Denn vieles wirkte, hielt am sel'gen Fleiß,
Wovon die Welt noch keine Silbe weiß.
Der Tempel steht, dem höchsten Sinn geweiht,
Auf Felsengrund in hehrer Einsamkeit.
Daneben wohnt die fromme Pilgerschar,
Sie wechseln, gehend, kommend, Jahr für Jahr.
So ruhig harrt ein wallendes Geschlecht,
Geschützt durch Mauern, mehr durch Licht und
Recht,
Und wer sich dort sein Probejahr befand,
Hat in der Welt gar einen eignen Stand;
Wir hofften selbst uns im Asyl zu gründen.
Wer Buchten kennt, Erdzungen, wird es finden.
Der Abend war unübertrefflich schön,
Ach, wollte Gott, ein Künstler hätt's gesehn!

 

V

Bequemes Wandern

Hier sind, so scheint es, Wandrer wohl bedacht:
Denn jeder fände Pfad um Mitternacht.
Wir sagen nicht, wir hätten's oft gesehn,
Dergleichen Wege doch gelang's zu gehn;
Denn freilich, wo die Mühe war gehoben,
Da kann der Waller jede Stunde loben;
Er geht beherzt, denn Schritt für Schritt ist leicht,
So daß er fröhlich Zweck und Ziel erreicht.

O selige Jugend, wie sie, Tag und Nacht
Den Ort zu ändern innigst angefacht,
Durch wilden Bergriß höchst behaglich steigt
Und auf dem Gipfel Nebeldunst erreicht.
Man schelt es nicht, denn wohl genießt sie rein,
Auch über Wolken, heitern Sonnenschein.

 

VI

Gehinderter Verkehr

Wie sich am Meere Mann um Mann befestigt
Und am Gestade Schiffer überlästigt,
Die engen Pfade völlig weglos macht,
Auf Sicherheit, mehr auf Gewalt bedacht,
Bald Recht, bald Plackerei, sein selbst gewiß,
Sei's, wie es sei, und immer Hindernis,
So Tag und Nacht den Reisenden zur Last:
Es ist vielleicht zu düster aufgefaßt.

Ländlich

Die Nachtigall, sie war entfernt,
Der Frühling lockt sie wieder;
Was Neues hat sie nicht gelernt,
Singt alte liebe Lieder.


Übermütig sieht's nicht aus,
Dieses kleine Gartenhaus,
Allen, die sich drin genährt,
Ward ein guter Mut beschert.


Gar manches artig ist geschehn
Durch leichte Griffelspiele;
Doch recht betrachtet, wohl besehn,
Fehlt immer Hain und Mühle.


Erinnr' ich mich doch spät und früh
Des lieblichsten Gesichts,
Sie denkt an mich, ich denk an sie,
Und beiden hilft es nichts.

Landschaft

Das alles sieht so lustig aus,
So wohl gewaschen das Bauerhaus,
So morgentaulich Gras und Baum,
So herrlich blau der Berge Saum!
Seht nur das Wölkchen, wie es spielt
Und sich im reinen Äther kühlt!
Fände sich ein Niederländer hier,
Er nähme wahrlich gleich Quartier,
Und was er sieht und was er malt,
Wird hundert Jahre nachgezahlt.

Wie kommt dir denn das alles vor?
Es glänzt als wie durch Silberflor,
Durchscheinend ist's, es steht ein Licht
Dahinter, lieblichstes Gesicht.
Durch solcher holden Lampe Schein
Wird alles klar und überrein,
Was sonst ein garstig Ungefähr,
Tagtäglich, ein Gemeines wär.
Fehlt's dir an Geist und Kunstgebühr,
Die Liebe weiß schon Rat dafür.

 

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