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Oscar Wilde

(1854-1900)

 

»Erkenne dich selbst!« stand am Eingang der antiken Welt geschrieben. Über dem Eingang der neuen Welt wird geschrieben stehen »sei du selbst«. Und die Botschaft Christi an den Menschen lautete einfach »sei du selbst«. Dies ist das Geheimnis Christi.

Die Seele des Menschen im Sozialismus

 

 

Inszenierungen des ODYSSEE-Theaters:

 


Leben und Werk

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Lady Jane Francesca Wilde
Aquarell
von
Bernard Mulrenin, 1864
Oscar Fingal O'Flahertie Wills Wilde 1857
Oscar Wilde mit etwa acht Jahren
Oscar Wilde
als Schüler im Alter von etwa 10 Jahren
Kreidezeichnung von unbekannter Hand
Oscar Wilde als Student in Oxford
by Hills & Saunders, Rugby & Oxford
3 April 1876
Frank Miles

Oscar Fingal O'Flahertie Wills Wilde wurde am 16.10.1854 in Dublin geboren. Sein Vater, Sir William Robert Wilde (1815-1876), war war Irlands führender Ohren- und Augenarzt und schrieb Bücher über Archäologie, Reisebeschreibungen und über den Satiriker Jonathan Swift. Der Vater, obgleich klein gewachsen und eher unansehlich, hatte zahlose Liebesaffären und einige uneheliche Kinder. Oscar Wildes Mutter, Lady Jane Francesca Agnes Wilde, geb. Elgee (1820-96), war Dichterin, Journalistin. Sie engagierte sich im Young Ireland Movement unter dem Pseudonym „Speranza“ und wurde ob ihrer antibritischen Gedichte als revolutionäre Lyrikerin gefeiert. Sie übersetzte aus dem Deutschen, Französischen und Schwedischen, veröffentlichte zahlreiche literaturkritische, biografische und irlandkundliche Schriften und eine Reihe von Gedichtbänden. Von ihr hat Oscar Wilde wohl sein unbändiges Selbstvertrauen, die Verachtung aller gängigen Konventionen und die Lust, zu schockieren ebenso geerbt wie seine gefällige Statur und die großflächigen gefühlvollen Gesichtszüge. Lady Jane war in jungen Jahren eine hochgewachsene Schönheit gewesen, entwickelte aber später eine geradezu pathologische Leibesfülle.

1855 übersiedelte die Familie in das Haus am Merrion Square Nr. 1, wo Lady Jane, die stets im Mittelpunkt des öffentluichen Interesses stehen wollte, ihren samstäglichen literarischen Salon einrichtete, in dem viele mehr oder weniger bedeutende Künstler und Intellektuelle verkehrten. 1858 wurde Wildes Schwester Isola Francesca wird geboren.

William Robert Wilde
John Pentland Mahaffy
Oscar Wildes Lehrer für
Altphilologie am Trinity College
Walter Pater
Zeichnung von Will Rothenstein

1864 erhob man William Wilde in Anerkennung seiner bevölkerungsstatistischen Arbeiten in den Adelsstand. Doch führte im selben Jahr eine undurchsichtige Affäre mit einer ehemaligen Patientin und Freundin, die ihn beschuldigte, sie während einer ärztlichen Behandlung betäubt und vergewaltigt zu haben, zu einem aufsehenerregenden Prozess, der damit endete, dass Wildes Vater zwar nur einen symbolischen "halfpenny" Schadenersatz an die Klägerin zahlen musste, jedoch für die enormen Prozesskosten aufzukommen hatte - ein gesellschaftlich und finanziell empfindlicher Schlag für die Familie.

1864-1871 besuchte Oscar Wilde als Internatsschüler die Portora Royal School in Enniskillen. Am 23. Februar 1867 starb seine Schwester Isola Francesca. Von 1871-1874 studierte Oscar Wilde mit glänzendem Erfolg klassische Literatur am Trinity College in Dublin. Im Sommer 1874 bereiste Oscar Wilde zusammen mit William Goulding und Reverend John Pentland Mahaffy, seinem Freund und Lehrer für Altphilologie am Trinity College, Norditalien, wo er u.a. Mailand, Venedig, Padua und Verona besuchte. Mahaffy hatte ausgiebig Griechenland bereist, war ein glänzender Redner und verstand es vortrefflich, alles vom künstlerischen Standpunkt aus zu betrachten.

Nachdem Oscar Wilde ein jährliches Stipendium von 95 £ gewonnen hatte, studierte er von 1874 bis 1878 am Magdalen College in Oxford, wo er den schon vehement in Richtung des L'art pour l'art weisenden ästhetischen Idealen von Walter Horatio Pater (1839-1894) und der tief moralisch, religiös und sozial engagierten Kunstauffassung von John Ruskin (1819-1900) gleichermaßen begeistert folgte, obwohl sie auf sehr unterschiedliche, beinahe entgegengesetzte Weise den neuen Ästhetizismus vertraten. Théophile Gautier (1811-1872) war der Wegbereiter dieser zweckfreien, nur ästhetischen Maßstäben (denen sich alle politischen, moralischen und religiösen Werte unterzuordnen haben) verpflichteten Kunstanschauung gewesen, die sich im 19. Jahrhundert später unter dem Schlagwort L'art pour l'art weit verbreitete.

Walter Pater folgte jener Strömung, die aus Frankreich herüber gekommen war und Charles Baudelaire (1821-1867) zu seinen Fleurs du Mal (Die Blumen des Bösen) und Algernon Swinburne (1837-1909) zu seinen, die konservativen Gesellschaftsschichten schockierenden Gedichten voll unverholen ausschweifender Sinnlichkeit gepaart mit Todessehnsucht inspiriert hatte. Wir alle sind zum Tode verurteilt und es gilt die kurze Frist, die uns gegeben ist, auszukosten in Erlebnissen voll Leidenschaft - und die Sehnsucht nach Schönheit und die Liebe zur Kunst zählt zu den höchsten Leidenschaften. In dieser Flamme sollen wir immerzu brennen, uns diese Ekstase in jedem Augenblick des Lebens bewahren, dann war unser Leben erfolgreich. Im Nachwort zu The Renaissance: Studies in Art and Poetry heißt es:

"Immer in dieser starken, juwelengleichen Flamme zu brennen, in dieser Ekstase zu verweilen, macht unser Leben erfolgreich…

Gut! Wir alle sind Verdammte, wie Victor Hugo sagt: wir alle sind zum Tode verurteilt, aber uns ist eine unbestimmte Gnadenfrist gegeben -- les hommes sont tous condamnés à mort avec des sursis indéfinis: wir haben eine Frist, und dann kennt uns unser Ort nicht mehr. Manche verleben diese Zeit in Lustlosigkeit, andere in großen Leidenschaften, die weisesten, wenigsten unter den „Kindern dieser Welt“, in Kunst und Gesang. Denn unsere einzige Chance liegt darin, dieses Intervall auszudehnen, und so viele Pulsschläge als möglich in der gegebenen Zeit zu erleben. Große Leidenschaften können uns diesen beschleunigten Lebenssinn erwecken, Ekstase und die Schmerzen der Liebe, die verschiedensten Formen enthusiastischer Aktivität, uneigennützig oder anders, welche viele von uns natürlicherweise überkommen. Versichere dich nur, dass es Leidenschaft ist – dass es dir die Früchte eines beschleunigten, vervielfältigten Bewusstseins schenkt. Von diesen Weisheiten zählt die poetische Passion, die Sehnsucht nach Schönheit, die Liebe zur Kunst um ihrer selbst willen, am meisten. Denn die Kunst verspricht dir nichts als die höchste Qualität dieser flüchtig vorüberhuschenden Augenblicke, und einfach nur um dieser Augenblicke selbst willen."

John Ruskin

Ganz anders dachte Ruskin: In vielen Schriften hatte er das Evangelium der Schönheit verkündet, worunter er eine harmonische Verschmelzung von Kunst, Politik und Wirtschaft verstand, die ihr frühes Vorbild in der mittelalterlicher Kunst der Gotik hatte. Das Schöne, Wahre und Gute waren für Ruskin untrennbar miteinander verbunden. In der wachsenden Industrialisierung sah Ruskin die drängende Gefahr einer Verkrüppelung sowohl menschlicher Tugenden als auch künstlerischer Schöpferkraft. Er forderte eine ästhetisch orientierte Wirtschaftsethik ein, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, dessen handwerkliche Arbeit selbst als schöpferischer Wert betrachtet wird.

Diese sehr gegensätzlichen Gesinnungen seiner beiden Lehrer, die aber doch um einen gemeinsamen Kern kreisten, entsprachen gerade Oscar Wildes Wesen, der diese Widersprüche schon sehr früh in einer Person verkörperte. Die Kunst muss im Zentrum des Lebens stehen, so empfand er, und sie ist allein um der Kunst selbst willen da; ihr Wert liegt unmittelbar in ihr selbst, in dem - durchaus auch wollüstigen, ekstatischen sinnlichen Vergnügen, das sie bereitet, zugleich in dem erhabenen ästhetischen Wohlgefallen und in der Lebensfreude, in der seelischen Erquickung und Harmonisierung, die daraus erwächst, und sie soll derart auch die alltäglichsten Lebensbereiche durchdringen und ein allgegenwärtiges ästhetisches Lebensempfinden erzeugen, das allein die Quelle wahrer Tugend sein kann. Eine Maxime, die Wilde bald auf seine ganz individuell egozentrische Weise zu einer mit seinem ganzen Wesen gelebten Lebenskunst erhoben und in seinen Schriften, durchaus zugleich mit leiser hintergründiger Ironie, meisterhaft stilisiert hat. Und so mögen sich seine Werke auf den ersten Blick im oberflächlich ästhetischen Glanz seiner brillianten Sprache erschöpfen und einer leichtlebigen, geradezu hedonistischen Lebensweise huldigen - und Wildes ganze Biografie scheint das noch zu unterstreichen -, doch liegen in Wahrheit auch tief moralische, aber niemals moralisieren wollende Ideale zugrunde, denen Wilde selbst zwar nur selten genügte, aber nach denen er doch strebte und sich auflehnte gegen die verlogene Viktorianische Prüderie des Fin de siècle, die diese schönen - und eben darum wahren - Ideale zur hässlichen Karrikatur verzerrt hatte. In Das Bildnis des Dorian Gray wird es später einmal heißen:

"Der Kultus der Sinne ist oft, und mit vielem Recht, in Verruf gebracht worden, da die Menschen einen natürlichen, instinktmäßigen Abscheu vor Leidenschaften und Triebempfindungen haben, die stärker als sie selbst scheinen und die sie, wie sie wissen, mit den weniger hoch organisierten Formen des Lebendigen gemein haben. Aber es kam Dorian Gray so vor, als wäre die wahre Natur der Sinne nie verstanden worden, und als wären sie nur darum wild und tierisch geblieben, weil die Welt versuchte, sie hungern zu lassen und dadurch zur Unterwerfung zu bringen, oder sie durch Qualen zu töten, anstatt dahin zu streben, sie zu Elementen einer neuen Geistigkeit zu machen, deren vorherrschendes Kennzeichen ein feiner Instinkt für die Schönheit war...

Ja: es mußte, wie Lord Henry prophezeit hatte, ein neuer Hedonismus kommen, der dazu bestimmt war, das Leben zu erneuern und es vor dem groben, häßlichen Puritanismus zu erretten, der in unsern Tagen sein seltsames Wiedererwachen gefunden hatte. Gewiß, er würde dem Intellekt zu gehorchen haben; aber er würde nie eine Theorie oder ein System anerkennen, das das Opfer irgendeiner Art Gefühls- oder Trieberlebnisses verlangte. Sein Ziel war gerade die Erfahrung und das Erlebnis selbst, nicht die Früchte der Erfahrung, so süß oder so bitter sie auch wären. Von der Askese, die die Sinne tötet, würde dieser Hedonismus ebensowenig wissen wollen wie von der gewöhnlichen Liederlichkeit, die sie stumpf macht. Aber er sollte die Menschen lehren, sich auf die Momente eines Lebens zu konzentrieren, das selbst nur ein Moment ist."

Die Neigung zur Kunst und zur Schönheit war Oscar Wilde schon durch sein Elternhaus in die Wiege gelegt. Dass er nun aber in Oxford auf spielerische Art mit dem Katholizismus zu liebäugeln begann, erzürnte seine Eltern und auch seinen Halbbruder zutiefst. Der Vater wollte ihn sogar enterben. Es war die Kirche als Institution, die Wilde in ihrer ganzen sinnlichen Pracht faszinierte, und die damit in schroffem Gegensatz zu dem kargen, beinahe kunstfeindlichen Protestantismus stand:

"Sei davon berührt, fühle die schreckliche Faszination der Kirche, ihre außerordentliche Schönheit und Stimmung, und laß dein Wesen ganz darin aufgehen."

Auch dieses Lebensmotiv Wildes spiegelt sich im Dorian Gray wider:

"Es ging einmal das Gerücht über ihn, er stehe im Begriff, katholisch zu werden; und gewiß hatte der katholische Kult immer eine große Anziehung für ihn. Das tägliche Meßopfer, das in Wahrheit ehrwürdiger und furchtbarer ist als alle Opfer der antiken Welt, ergriff ihn ebensosehr durch seine prachtvolle Unbekümmertheit um den Augenschein der Sinne wie durch die primitive Einfachheit seiner Elemente und das ewige Pathos der Menschentragödie, der es ein Symbol sein wollte. Er kniete gern auf das kalte Marmorpflaster nieder und beobachtete, wie der Priester in seiner feierlichen, mit Blumen bestickten Dalmatika langsam mit weißen Händen den Vorhang des Tabernakels beiseite schob oder die mit edeln Steinen geschmückte Monstranz, die die blasse Hostie enthielt - die zuzeiten, möchte man gern glauben, wirklich der "panis coelestis" ist, das Brot der Engel - gleich einer Laterne in die Höhe hob; oder wie er, angetan mit den Gewändern der Passion Christi, die Hostie in den Kelch tauchte und sich die Brust schlug um seiner Sünden willen. Die rauchenden Weihrauchfässer, die die ernsthaften Knaben, in Spitzen und Scharlach gekleidet, wie große, goldfarbene Blumen in der Luft schwangen, übten eine tiefe Bezauberung auf ihn aus."

Er suchte aber zugleich auch nach einer moralischen Stütze, nach einem Weg zur moralischen Besserung, und immer wieder spielte er mit dem Gedanken an einen Übertritt - ohne ihn allerdings zu vollziehen:

"Wenn ich nur die leiseste Hoffnung hegen könnte, dass die Kirche in mir etwas Ernsthaftigkeit und Reinheit erweckte, würde ich schon auf diesen Verdacht hin, wenn aus keinem anderen Grunde, übertreten."

Erst kurz vor seinem Tod wurde Oscar Wilde durch eine Nottaufe in die katholische Kirche aufgenommen.

Florence Balcombe
Florence
Zeichnung von Oscar Wilde
James Abbot McNeill Whistler
Selbstbildnis
Oscar Wilde
by Napoleon Sarony,
New York, Januar 1982
Karrikatur Oscar Wildes
anläßlich des Besuchs in
San Francisco 1882

1874 gewinnt Oscar Wilde für seine hervorragenden Griechischkenntnisse die Berkeley Gold Medal. Im November verunglücken Emily und Mary Wilde, uneheliche Töchter von Sir William Wilde, tödlich.1875 lernte Oscar Wilde Florence Balcombe kennen und knüpfte mit ihre eine kurze, höchst romantische Beziehung an: "Sie ist erst siebzehn, hat das ebenmäßigste, schönste Gesicht, das ich je sah, und keinen Pfennig Geld."

Am 19. April 1876 starb Wildes Vater. Die Ferienzeit verbrachte Oscar Wilde zusammen mit Frank Miles in Dublin. Die Freundschaft zu seinem ehemaligen Lehrer John Pentland Mahaffy blieb auch noch während seines Studiums in Oxford aufrecht. Im März und April 1877 besuchte er ein zweites Mal Italien, insbesondere Ravenna, und fuhr dann zusammen mit Mahaffy, William Goulding und George Macmillan nach Griechenland. Auf der Rückreise kam er wieder nach Rom, wo er David Hunter Blair und William Ward begegnete. Im Juni 1877 starb Oscars Halbbruder Henry Wilson, der illegitime Sohn von Sir William Wilde, der sich bereits als Augenarzt profiliert hatte.

Am 28. November 1878 fand Oscar Wilde seine erste literarische Anerkennung, als sein Gedicht Ravenna, in dem die Impressionen seiner zweiten Italienreise künstlerische Gestalt angenommen hatten, mit dem Newdigate-Preis ausgezeichnet wurde. Auch wurde er zum Mitglied der Freimaurerloge „Apollo University No. 357“ erwählt. In selben Jahr legte Oscar Wilde die Abschlussprüfung für den akademischen Grad des Bachelor of Arts in Oxford ab. Im Dezember heiratete Florence den irischen Schriftsteller Bram Stoker (1847-1912), der später durch seinen Horrorroman Dracula (1897) weltbekannt wurde.

Nach Abschluss des Studiums übersiedelte Oscar Wilde 1879 sogleich nach London und teilte sich dort bis 1881 mit dem Künstler Frank Miles, der beste Beziehungen zur Londoner Gesellschaft hatte, eine Wohnung im Thames House in der Londoner Salisbury Street 13. Oscar Wilde war vortrefflich gekleidet, mit samtenen Kniebundhosen, trug lange Haare, war exzentrisch, verfügte dabei zugleich über vollendete Manieren und zählte bald zu den stadtbekannten Dandys. Auf den Abendgesellschaften, auf denen er ein gerne gesehener Gast war, vertrat er höchst geistreich und mit unverholener Eitelkeit seine unkonventionellen Ansichten. Sein exzentrischer Lebensstil wurde bald von der satirischen Zeitschrift Punch aufs Korn genommen und Gilbert und Sullivan parodierten ihn in der komischen Oper Patience (1881).

Wildes Verhältnis zur gehobenen Londoner Gesellschaft Viktorianischer Prägung blieb stets ambivalent. Einerseits wollte er ihr, möglichst als vielbeachteter strahlender Mittelpunkt, fest angehören, anderseits suchte er sich als überlegener Spötter weit über sie zu erheben und ihr den demaskierenden Spiegel vorzuhalten, ohne sich aber jemals von ihren Wertvorstellungen innerlich ganz lösen zu können, obwohl ihm diese zugleich oft recht verlogen erschienen. Seine späteren Gesellschaftskomödien spiegeln diese Situation sehr deutlich wider.

Im Sommer 1880 übersiedeln Frank Miles und Wilde nach Chelsea in Keats House (eigentlich Skeates House), Tite Street. Ihr Nachbar ist der amerikanische Maler und Radierer James Mc-Neill Whistler (1834-1903). Bald entsteht eine nicht immer konfliktfreie Freundschaft zwischen Whistler und Wilde. Whistler war ein Protagonist der sogenannten Ästhetischen Bewegung und huldigte wie Wilde dem Grundsatz des l'art pour l'art, dass Kunst keine moralischen Aussagen enthalten, sondern allein durch sich selber wirken sollte. Wegbereiter dieser ästhetischen Ideale war Théophile Gautier gewesen. Oscar Wilde formulierte es in einem Vortrag vor Kunststudenten (1883) so:

"Ein Bild hat keine andre Bedeutung als seine Schönheit, keine Botschaft als seine Freude. Das ist die erste Wahrheit in der Kunst, die Sie nie aus den Augen verlieren dürfen. Ein Bild ist etwas rein Dekoratives."

Durch ihren Austausch von Bonmots, den sie auch in der Tagespresse zelebrierten, waren die beiden Künstler Wilde und Whistler bald stadtbekannt, bis sie sich 1885 über Whistler's „Ten O'Clock“-Vorlesung zerstritten.

Im Sommer 1880 unternimmt Wilde eine Frankreichreise mit James Rennell Rodd. Im September erscheint Wildes erstes Bühnenstück Vera oder die Nihilisten (Vera, or the Nihilists) als Privatdruck.

Oscar Wilde (London, 19. März 1881?)
Oscar Wilde
by Napoleon Sarony,
New York, Januar 1982
Constance Lloyd
Oscar Wilde
by Debenham & Gould, 1887
Constance mit ihrem ersten Sohn Cyril
Atelier Cameron 1891

1881 erschienen Wildes Poems in London im Verlag von David Bogue und kurz darauf eine autorisierte amerikanische Ausgabe bei Roberts Brothers of Boston. Im selben Jahr reiste Oscar Wilde auf Einladung Helen Lenoirs nach New York, wo er am 2. Januar 1882 eintraf und wenige Tage später zu einer eine fast einjährigen Vortragsreise durch die USA und Kanada aufbrach. Den Ruf, der ihm vorausgeeilt war, wusste er durch entsprechende Bonmots zu stärken; schon bei seiner Einreise soll er gesagt haben: "I have nothing to declare but my genius." In Camden trifft er den amerikanischen Dichter Walt Whitman (1819-1892). Am 27. Dezember 1882 verlässt Oscar Wilde Amerika an Bord der Bothnia und landet am 6. Jänner 1883 in Liverpool. In dem Essay Amerikanische Impressionen (1883) schildert er die gewonnenen Eindücke so:

"Ich fürchte, ich kann Ihnen Amerika insgesamt nicht gerade als ein Elysium schildern ... Das erste, was mir auffiel, als ich in Amerika an Land ging, war der Umstand, dass die Amerikaner, wenn schon nicht die bestangezogenen Leute auf der Welt, so doch die am bequemsten gekleideten sind... Der zweite bemerkenswerte Umstand besteht darin, dass jedermann voll Hast darauf bedacht scheint, noch irgendeinen Zug zu erreichen. Es ist dies ein Zustand, der aller Poesie und Romanze abträglich ist...

Amerika ist das lärmendste Land, das es je gegeben hat. Des Morgens wird man nicht vom Ruf der Nachtigall, wohl aber vom Geheul der Dampfsirene geweckt. Es ist verwunderlich, dass der gesunde, praktische Sinn der Amerikaner diesen unerträglichen Lärm noch immer nicht auf ein erträgliches Maß herabgesetzt hat. Alle Kunst beruht ja auf exquisitem Feingefühl, und so muss solch beständiger Aufruhr letztlich jeder Musikalität den Garaus machen...

Und ein besonderes Charakteristikum der Amerikaner ist die Art und Weise, wie sie die Wissenschaft dem modernen Leben dienstbar gemacht haben. Man bemerkt das schon beim flüchtigsten Rundgang durch New York. In England wird ein Erfinder nahezu für verrückt angesehen, und nur zu oft stehen am Ende eines Erfinderlebens Armut und Enttäuschung. In Amerika hingegen ehrt man den Erfinder, man gewährt ihm Hilfe, und so sind der Gebrauch von Erfindungsgabe sowie die Anwendung der Wissenschaft in der Arbeitswelt der kürzeste Weg zur Wohlhabenheit. Es gibt kein Land auf dieser Erde, wo die Maschinen so schön sind wie in Amerika."

Im Frühjahr 1883 folgte ein ausgedehnter Aufenthalt in Paris, wo er die Schriftsteller Alphonse Daudet, Edmond de Goncourt, Victor Hugo, Paul Verlaine und Émile Zola sowie die Maler Edgar Degas, Camille Pissarro, Giuseppe de Nittis, Jacques-Émile Blanche, John Sargent und den Journalisten Robert Sherard, der später Wildes erster Biograph wurde, kennenlernte. Am 15. März erschien die Verstragödie Die Herzogin von Padua (The Duchess of Padua) als Privatdruck in kleiner Auflage. Wilde bezog nun eine Wohnung in der Charles Street am Grosvenor Square in London.

Oscar Wilde 1882
Oscar Wilde 1889

Das Bildnis des Dorian Gray

Der Maler Basil Hallward ist fasziniert und betört und als Künstler zutiefst inspiriert von Dorian Grays anmutiger Schönheit, von seinen vollen roten Lippen, dem golden gewellten Haar und den sehnsuchtsvoll geweiteten blauen Augen, und sein höchstes Ziel ist es, diesen unvergleichlichen Jüngling, der ihm zugleich das Ideal aller Tugenden zu verkörpern scheint, im Bild festzuhalten. Der verschlagene Lord Henry Wotton hingegen sieht in ihm nichts anderes als ein zwar formvollendetes, aber völlig leeres Gefäß, das nur darauf wartet mit Leben – mit zweifelhaftem, lasterhaftem Leben - erfüllt zu werden.

Dorian erzittert und bebt vor Entzücken, als er vor dem fertigen Gemälde steht und äußert insgeheim einen folgenschweren Wunsch, der ihm auf magisch tragische Weise erfüllt wird: Möge er nur für immer so schön und jung bleiben wie auf diesem Gemälde und möge statt seiner das Bild altern und verwelken.
Lord Henry vergiftet indessen die Seele des Jünglings immer mehr durch seinen üblen Einfluss und einen abgründigen Roman, dem er ihm zu lesen gibt. Tiefer und tiefer verstrickt sich Dorian Gray in die Abgründe seiner Seele, die sich immer weiter eröffnen und ihn zu verschlingen drohen. Nach außen erscheint er makellos, doch sein Porträt, das er bald furchtsam auf dem verstaubten Dachboden verbirgt, wird zum unbarmherzigen grauenvollen Spiegel seiner immer mehr verkommenden Seele.

In diesem Bild offenbart sich auf erschreckende Weise das eigentliche Thema des ganzen Romans: Ängstlich verborgen gehaltene Sünden, geheime Obsessionen, geächtete homoerotische Neigungen, überhaupt die ganze zweifelhaft scheinheilige Moral der Viktorianischen Gesellschaft.

Die Verfehlungen Dorians werden meist nur angedeutet, vieles bleibt der Phantasie des Lesers überlassen. Jedenfalls kommt es schliesslich so weit, das Dorian Basil ermordet. Bei dem Versuch, sein Gewissen zu töten, also das Bildnis zu zerstören, stirbt Dorian selbst. Das Bildnis erstrahlt wieder in voller Schönheit und auf dem Boden liegt ein alter hässlicher Mann, in dessen Herzen genau jenes Messer steckt, mit dem er Basil erstochen hat.

THE PICTURE OF DORIAN GRAY

USA 1945, 115 Min.
Regie: Albert Lewin
Buch: Albert Lewin nach dem Roman von Oscar Wilde
Kamera: Harry Stradling
Musik: Herbert Stothart
Mit George Sanders, Hurd Hatfield, Donna Reed, Angela Lansbury, Peter Lawford

Das Bildnis des Dorian Gray wurde bisher sieben Mal verfilmt. Albert Lewin inszenierte 1945 die erste Tonfassung. Davor gab es mehrere Stummfilmversionen. Die erste stumme Version drehte Phillips Smalley bereits 1913; 1916 folgte Fred W. Durrants Version und gleich darauf die Fassungen von Richard Oswalds (1917) und Alfréd Deésys (1918). 1969 entstand unter der Regie von Massimo Dallamano eine in Deutschland und Italien produzierte Fassung mit Helmut Berger, Richard Todd, u.a. 1973 adaptierte Glenn Jordan das Werk mit Nigel Davenport, Shane Briant, Fionnula Flanagan, Charles Aidman, Linda Kelsey und Vanessa Howard als Darstellern.

Nach einer zweiten USA-Reise im August und September 1883 zu den Proben von Vera oder die Nihilisten, das am New Yorker Union Square Theatre mit geringem Erfolg aufgeführt wurde, verlobte sich Oscar Wilde am 26. November in Dublin mit Constance Mary Lloyd, der Tochter eines bekannten Londoner Anwalts, und heiratete sie am 29. Mai 1884 in London. Die Hochzeitsreise führte die beiden nach Paris und Dieppe. Im Sommer bezogen sie ein angemietetes Haus in der Tite Street 16 (34) in Chelsea, das von Edward William Godwin ausgestaltet wurde.

Die Söhne Cyril und Vyvyan, die aus dieser Ehe hervorgingen, wurden am 5. Juni 1885 bzw. am 3. November 1886 geboren. Für sie schrieb Oscar Wilde zahlreiche Märchen. Den aristokratischen Gesellsaftsschichten und dem aufstrebenden neureichen Bürgertum des nach außen hin prüden, nach innen zu zutiefst gelangweilt dekadenten Viktorianaischen Zeitalters, galt Oscar Wilde damals als brillianteste Redner seiner Zeit. Er war ein stets gern gesehener Gast, der sich mit seiner amüsanten geistreichen Plauderkunst stets einfühlsam den Befindlichkeiten der Gesellschaft anzupassen wusste und dabei doch jederzeit ungehemmt seine individuelle Einzigartig auslebte. Er war ein Meister der geschliffenen eleganten Formulierungen, geradezu ein Genie des Bonmots - und dabei keineswegs so oberflächlich, wie es auf den ersten Blick scheinen musste; seine Aphorismen beweisen historischen Scharfblick und soziale Weitsicht.

1886 lernte Oscar Wilde Robert Ross kennen, der bis zu Wildes Tod ein enger Freund blieb und sein literarischer Nachlaßverwalter wurde.

Von 1887 bis 1889 arbeitete Oscar Wilde für die Pall Mall Gazette und war als Herausgeber des Frauenmagazins The Woman's World tätig. 1887 erschien auch die Erzählung Das Gespenst von Canterville in zwei Teilen. Weitere Erzählungen folgten: Die Sphinx ohne Geheimnis, Lord Arthur Saviles Verbrechen und Der Modellmillionär. Im Mai 1888 erschien in einer Auflage von 1000 Stück die Märchensammlung Der glückliche Prinz und andere Erzählungen. Zwei Motive spielen in diesen Märchen und Erzählungen immer wieder eine wichtige Rolle: das Teufelsbund-Motiv und das Doppelgänger-Motiv. Und nicht nur in seinen Dichtungen, auch in seinem Leben tritt Oscar Wildes abgründiges Schatten-Selbst, sein finsterer Doppelgänger, immer deutlicher hervor. Und von hier führt auch ein direkter Weg zum Bildnis des Dorian Gray.

Zu Weihnachten 1888 war der führende irisch-keltische Schriftsteller William Butler Yeats (1865-1939) zu Gast bei den Wildes. Im Juli 1889 wird Das Bildnis des Mr. W. H erstmals in »Blackwood´s Edinburgh Magazine« abgedruckt. 1890 zerbricht die Freundschaft zwischen Wilde und Whistler endgültig.

1890/91 löste die Veröffentlichung des Romans Das Bildnis des Dorian Gray aufgrund seiner amoralisch scheinenden Absichten einen Skandal aus. Wilde verteidigte sein Werk mit den Worten:

"Kein Kunstwerk vertritt jemals eine Absicht. Absichten haben nur Leute, die keine Künstler sind."

Das Bildnis des Dorian Gray trägt, wie Oscar Wilde selbst zugab, stark autobiografische Züge, die drei Protagonisten sind zugleich drei Facetten seines eigenen Wesens. Im zweiten Kapitel entwickelt der Verführer Lord Henry seine Lebensphilosophie:

"Der Sinn des Daseins ist: Selbstentwicklung. Die eigene Persönlichkeit voll zum Ausdruck zu bringen, das ist die Aufgabe, die jeder von uns hier zu lösen hat. Heutzutage hat jeder Angst vor sich. Die Menschen haben ihre heiligste Pflicht vergessen, die Pflicht gegen sich selbst. Natürlich sind sie mildtätig. Sie nähren den Hungernden, bekleiden den Bettler - ihre eigenen Seelen aber darben und sind entblößt. Der Mut ist unserem Geschlecht abhanden gekommen. Vielleicht haben wir auch nie einen besessen. Die Angst vor der Gesellschaft, die Grundlage jeder Sittlichkeit und die Furcht vor Gott, das Geheimnis jeder Religion - das sind die zwei Kräfte, die uns beherrschen...

Wenn nur die Menschen ihr eigenes Leben voll bis auf den letzten Rest leben würden, jedem Gefühl Gestalt, jedem Gedanken Ausdruck, jedem Traum Wirklichkeit geben wollten - ich bin überzeugt davon, dann käme in die Welt eine solche Summe von neuer Freude und Lust, dass wir alle die seelischen Krankheiten des Mittelalters vergäßen und zum hellenischen Ideal zurückkehrten. Ja, wir kämen vielleicht zu etwas Feinerem, Reicherem als dem Griechentum. Aber selbst der Tapferste unter uns hat Angst - vor sich selbst. Die Selbstverleugnung, die unser Leben zerstört, ist ein tragischer Überrest der Selbstverstümmelung der Wilden. Wir büßen für unsere Entsagungen. Jeder Trieb, den wir zu unterdrücken suchen, schwelt im Innern weiter und vergiftet uns. Der Körper sündigt nur einmal und ist dann mit der Sünde fertig, denn Tat ist immer Reinigung. Nichts bleibt dann zurück als die Erinnerung an eine Lust oder die Wollust der Reue. Die einzige Art, eine Versuchung zu bestehen, ist, ihr nachzugeben. Widerstehen Sie ihr, so erkrankt Ihre Seele vor Sehnsucht nach der Erfüllung, die sie sich selber verweigert hat, vor Gier nach dem, was nur die ungeheuerlichen Gesetze der Seele ungeheuerlich und ungesetzmäßig gemacht haben. Es ist gesagt worden, dass die großen Ereignisse der Welt im Gehirn vor sich gehen. Im Gehirn und nur im Gehirn werden auch die großen Sünden der Welt begangen...

Nein, jetzt empfinden Sie es noch nicht. Später einmal, wenn Sie alt, runzelig und hässlich sind, wenn die Gedanken Furchen in Ihre Stirne gegraben haben, die Leidenschaft Ihre Lippen mit ihren schrecklichen Feuern verbrannt hat, dann werden Sie es empfinden, furchtbar empfinden. Jetzt bezaubern Sie alle Welt, Sie können hinkommen, wohin Sie wollen. Wird das aber immer so sein?... Sie haben ein wundervoll schönes Gesicht, Mr. Gray. Runzeln Sie nicht die Stirn. Es ist so. Und Schönheit ist eine Form des Genies, steht in Wahrheit noch höher als Genie, weil sie keinerlei Erläuterung bedarf. Sie ist eine der großen Wirklichkeiten der Welt, wie der Sonnenschein oder der Frühling oder der Abglanz jener silbernen Scheibe, die wir den Mond nennen, in dunklen Wässern. Man kann sie nicht bestreiten. Sie hat ein göttliches, über alles erhabenes Recht. Wer sie hat, ist ein Fürst. Sie lächeln? Ach, wenn Sie sie verloren haben, werden Sie nicht mehr lächeln... Die Leute sagen manchmal, Schönheit sei etwas Äußerlich es. Vielleicht ist sie das. Aber zumindest ist sie nicht so äußerlich wie das Denken. Für mich ist Schönheit das Wunder der Natur. Nur die oberflächlichen Menschen urteilen nicht nach dem Äußeren. Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare. . . Ja, Mr. Gray, die Götter haben es mit Ihnen gut gemeint. Aber was sie einem schenken, das rauben sie auch bald wieder. Sie haben nur ein paar Jahre, in denen Sie sich wirklich und vollkommen ausleben können. Wenn Ihre Jugend Sie verlässt, nimmt sie die Schönheit mit und dann werden Sie plötzlich entdecken, dass keine Siege mehr auf Sie warten, oder Sie werden sich mit jenen traurigen Siegen begnügen müssen, die Ihnen die Erinnerung an die Vergangenheit bitterer als Niederlagen machen wird. Jeder Monat, der dahingeht, bringt Sie einem schrecklicheren Ziele näher. Die Zeit ist eifersüchtig auf Sie und kämpft gegen die Lilien und Rosen Ihrer Haut. Allmählich werden Sie fahl und hohlwangig, Ihre Augen werden stumpf blicken und Sie werden unsäglich leiden... Leben Sie Ihrer Jugend, solange sie da ist. Vergeuden Sie das Gold Ihrer Tage nicht, hören Sie nicht auf die Philister, mühen Sie sich nicht, hoffnungslosen Verfall zu verbessern oder Ihr Leben den Unwissenden, Niedrigen, den gemeinen Leuten hinzugeben! Das sind die kranken Ziele, die falschen Ideale unserer Zeit. Leben Sie! Leben Sie das wunderbare Leben, das in Ihnen ist! Versagen Sie sich nichts! Suchen Sie nach immer neuen Empfindungen! Fürchten Sie nichts. . . Ein neuer Hedonismus täte unserem Jahrhundert not. Sie könnten sein lebendiges Symbol sein."

Man meint beinahe die - allerdings ganz im Wild'schen Sinn ausgedeuteten - Worte aus der "Conclusion" von Walter Paters The Renaissance: Studies in Art and Poetry zu vernehmen.

Basil wird viel von Wildes eigenen künstlerischen Idealen in den Mund gelegt, die aber Wilde in seinem künstlerischen Schaffen oft selbst nicht verwirklichen konnte. Wilde strebte nach reiner, formvollendeter Schönheit, aber seine eigene Lebensrealität machte ihm dabei oft einen Strich durch die Rechnung:

„Ein Künstler sollte schöne Dinge schaffen, sollte aber nichts von seinem eigenen Leben hineintun. Wir leben in einer Zeit, wo die Menschen die Kunst behandeln, als ob sie bestimmt wäre, eine Art Autobiographie zu sein. Wir haben den Sinn für absolute Schönheit verloren.“

Lord Henry wiederum tut manche Äußerungen, die schon beinahe prophetisch auf unsere Zeit gemünzt sein könnten:

„Der durch und durch wohlinformierte Mensch – das ist das Ideal unserer modernen Zeit. Das Hirn dieses durch und durch wohlinformierten Menschen ist etwas Grauenvolles. Es gleicht einem Trödelladen voller Ungeheuerlichkeiten und Staub, in dem alles über seinem eigentlichen Wert ausgezeichnet ist.“

Das mysteriöse «gelbe Buch», das Lord Henry Dorian übersendet, wurde häufig mit dem 1884 veröffentlichten symbolistischen Kultroman von Joris-Karl Huysmans A rebours (Gegen den Strich) gleichgesetzt. Floressas Des Esseintes, der letzte, übersensible dekadente Sproß eines alten Adelgeschlechts, flieht darin vor der Grobheit und Banalität der Zeitgenossen. Er lässt sich auf dem Land in Fontenay ein Refugium errichten, wo er sich eine Scheinwelt aus Kunst, Kleinodien und kranken Genüssen aufbaut. Tagsüber schläft er, nachts lebt er auf. Seine Träume und Visionen sind erfüllt von wüsten Orgien und perversen Halluzinationen, die ihn beinahe zugrunde richten. Tatsächlich ist laut Oscar Wildes Aussage das «gelbe Buch» reine Fiktion, obwohl er sicher manche Anregungen aus dem Roman Huysmans empfangen hat. 1894 schrieb er in einem Brief an Ralph Payne: „Das Buch, das Dorian vergiftet oder vervollkommnet, gibt es nicht; es ist eine reine Erfindung von mir.“ Das scheint auch glaubhaft, denn wie Wilde dieses Buch schildert, verrät viel von seinem eigenen Wesen; gegen Ende des 10. Kapitels heißt es:

„Es war ein Roman ohne Handlung und mit nur einer einzigen Figur. Eigentlich war es eine psychologische Studie über einen jungen Pariser, der sein Leben damit verbrachte, im neunzehnten Jahrhundert alle Leidenschaften und Wandlungen der Lebensgefühle in Wirklichkeit umzusetzen, die jedem Jahrhundert, dem eigenen ausgenommen, angehört hatten und so in seiner eigenen Person die verschiedenartigsten Schicksale, die, die Weltseele durchgemacht hatte, zu vereinigen. Wegen ihrer Künstlichkeit hatte er jene Entsagungen geliebt, die die Menschen in ihrer Torheit Tugend genannt haben, ebenso wie jene Empörungen der menschlichen Natur, die weise Leute noch jetzt Sünde nennen. Es war in jenem sonderbaren, reich geschmückten Stil geschrieben, den die Arbeiten einiger der feinsten Künstler der französischen Symbolistenschule haben: lebendig und dunkel zugleich, voll von Argotausdrücken und altertümlichen Wendungen, von technischen Ausdrücken und sorgsam gefeilten Umschreibungen. Es waren darin Vergleiche, so sonderbar wie Orchideen und auch so fein in den Farbentönen. Das Leben der Sinne war in den Ausdrücken der mystischen Philosophie beschrieben. Man wusste manchmal kaum, ob man von den geistigen Ekstasen eines mittelalterlichen Heiligen las oder die krankhafte Beichte eines modernen Sünders. Es war ein Buch voller Gift. Ein schwerer Weihrauchduft schien über den Seiten zu schweben und das Gehirn zu verwirren. Schon der Tonfall der Sätze, die feine Monotonie ihrer Musik mit ihrer Fülle von komplizierten Wiederholungen und fortschreitenden Bewegungen, die in der raffiniertesten Weise immer wiederkamen, erzeugten im Geist des Jünglings, als er von Kapitel zu Kapitel weiterlas, eine Art Träumerei, eine förmlich krankhafte Verträumtheit, die ihn den sinkenden Tag und die einfallenden Schatten nicht merken ließ.“

Im Februar 1891 erschien der bedeutende, von Wilde als zukunftsweisend betrachtete Essay Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus in »The Fortnightly Review«. Dem gesellschaftlichen Konformismus, der Unterwerfung unter die Autorität, stellt Wilde darin die individuelle Kreativität des Künstlers gegenüber. Der Aufsatz ist ein hymnisches Credo des unbedingten, unbeugsamen, aber völlig friedliebenden, anti-radikalen Individualismus, in dem Wilde die Ideale des Hellenismus in moderner sozialer Form erneuert sah und in dem seine ganze zart ästhetische Geisteshaltung wurzelte.

"Der Mensch verlangt danach, intensiv, ganz und vollkommen zu leben. Wenn er das vermag, ohne auf andere Zwang auszuüben oder selbst Zwang zu erleiden und wenn ihn alle seine Arbeiten befriedigen, dann wird er geistig gesünder, stärker, zivilisierter und mehr er selbst sein. In der Freude drückt sich die Natur aus, ihr stimmt sie zu. Wenn der Mensch glücklich ist, lebt er im Einklang mit sich und seiner Umgebung. Der neue Individualismus, in dessen Diensten der Sozialismus wirkt, ob er es wahrhaben will oder nicht, wird vollkommene Harmonie sein. Er wird die Erfüllung dessen sein, wonach sich die Griechen sehnten und was sie nur in Gedanken vollkommen zu verwirklichen vermochten, weil sie sich Sklaven hielten und sie ernährten; er wird die Erfüllung dessen sein, wonach sich die Renaissance sehnte, aber nur in der Kunst wahrhaft verwirklichen konnte, weil sie sich Sklaven hielt und sie verhungern ließ. Er wird vollkommen sein, und durch ihn wird jeder Mensch zu seiner Vollkommenheit gelangen. Der neue Individualismus ist der neue Hellenismus."

Alfred "Bosie" Douglas
mit 23 Jahren
Oscar Wilde mit Lord Alfred Douglas
by H. Mace, 1892
Oscar und Bosie 1893
Alfred Douglas
Sunflower Edition
The Works
of
Oscar Wilde
A Woman of No Importance
An Ideal Husband
Illustrated
New York
Lamb Publishing Co. 1909
Oscar Wilde at Work
Aubrey Beardsley, 1898

Der Dichter Lionel Johnson machte 1891 Oscar Wilde mit dem sechzehn Jahre jüngeren Lord Alfred Bruce "Bosie" Douglas (1870-1945), dem dritten Sohn von John Sholto Douglas, dem neunten Marquess of Queensberry, bekannt, womit eine leidenschaftliche und zugleich quälende, verhängnisvolle homoerotische Freundschaft ihren Anfang nahm. Seine Schönheit und Jugend faszinierten ihn. Oscar schrieb damals an Alfred, der selbst auch schon einige Gedichte verfasst hatte:

"Mein einziger Junge, Dein Sonett ist entzückend, und es ist ein Wunder, dass Deine roten Rosenlippen nicht weniger für die Musik des Liedes geschaffen sind als für die Raserei der Küsse. Deine schlanke, güldene Seele wandelt zwischen Leidenschaft und Poesie. Ich weiß, in griechischen Zeiten warst Du Hyakinthos, den Apoll so wahnsinnig liebte.

Dieser Brief wurde später gestohlen und Wilde damit erpresst; in der Gerichtsverhandlung gegen Wilde, in der seine homosexuellen Affären schonungslos aufgedeckt wurden, tauchte er als Beweismittel wieder auf. Wenig später heißt es in einem anderen Brief:

"Lieber, lieber Junge, Du bist mir mehr, als sich irgend jemand vorstellen kann; Du bist die Atmosphäre der Schönheit, durch die ich das Leben sehe; Du bist die Inkarnation aller lieblichen Dinge."

Alfred Douglas wiederum war, wie so viele, von Oscar Wildes charmanter Plauderkunst und seiner ganzen glanzvollen Lebensart bezaubert - und zudem machte ihm Oscar von Anfang an den Hof:

"Ständig bat er mich, mit ihm zu lunchen oder zu dinieren, und schicke mir Briefe, Briefchen und Telegramme. Er schmeichelte mir, beschenke mich und machte in jeder Hinsicht viel Wesens von mir. Er schenkte mir Exemplare von all seinen Büchern mit Widmungen."

In einem Brief an seine Mutter schreibt Bosie:

"I am passionately fond of him and he of me. There is nothing I would not do for him and if he dies before I do I shall not care to live any longer. Surely there is nothing but what is fine and beautiful in such a love as that of two people for one another, the love of the disciple and the philosopher."

Salome tanzt vor Herodes
Gustave Moreau, 1876
Illustration zu Oscar Wildes "Salome"
Aubrey Beardsley, 1894
John Sholto Douglas,
der neunte Marquess of Queensberry
(1896)
Alfred Douglas 1896

Im November und Dezember hielt sich Wilde in Paris auf, wo er unter anderem Stéphane Mallarmé, André Gide und Marcel Proust traf. Die Aufführung der 1891 in Paris zuerst in Französisch (siehe Salomé - Français sans accents) geschriebene Salomé wurde 1892 in London von der Zensur verboten. 1893 erschien das Stück in London und Paris als Buchausgabe.

Wilde schrieb nun vor allem Gesellschaftskomödien. Am 20. Februar 1892 wurde Lady Windermere’s Fächer (Lady Windermere´s Fan) uraufgeführt. Das Stück lief bis zum 29. Juli ohne Unterbrechung und ging danach bis zum 31. Oktober auf Tournee. Wood, Allen und Clibborn, die in den Besitz eines kompromittierenden Briefwechsels (siehe oben) zwischen Oscar Wilde und Alfred Douglas gekommen waren, versuchen Wilde zu erpressen. 1893 hatte Eine Frau ohne Bedeutung (A Woman of No Importance) im Theatre Royal am Haymarket Premiere. Im Sommer bezogen Wilde und Alfred gemeinsam »The Cottage« in Goring-on-Thames. Wilde mietet sich zusätzlich noch in einem Hotel am Londoner St. James Place ein, um dort ungestört an seinem Stück Ein idealer Gatte (An Ideal Husband) arbeiten zu können. Tatsächlich ließ ihm die aufreibende und auch finanziell ruinöse Beziehung zu Alfred Douglas nur wenig Raum und Konzentrationsfähigkeit für seine künstlerische Arbeit.

In der Figur des Lord Goring in Ein idealer Gatte, der in Mabel Chiltern sein weibliches Pendant hat, wird viel von Wildes eigenen Lebensidealen sichtbar. Lord Goring, dieser merkwürdig oberflächlich scheinende und doch zugleich philosophisch tiefgründige Dandy, ist geradezu ein Musterbeispiel des von Wilde angestrebten radikalen utopischen Individualismus. Gerade weil Goring – anders als Robert Chiltern, der eigentlichen Hauptperson des Stücks - nicht nach Macht und Einfluss streben muss, sich nicht durch die Gesetze des Marktes versklaven lässt und auch keinen Kampf gegen die gesellschaftlichen Zwänge führt, sondern ohne der Bürde einer vorgegebenen Verantwortung ganz dem Müßiggang lebt, kann er ganz er selbst sein und aus dieser souveränen Position heraus die Situation zum Wohl seiner Mitmenschen wenden. Auf alle Personen des Stücks wirkt Lord Goring je nach dem befreiend oder entlarvend, ganz wie es ihren Charakteren entspricht, und so ordnet sich allein durch seine Anwesenheit das ganze Geschehen so, dass bei allen das ihnen entsprechende individuell Wahre, Schöne und Gute hervortritt.

Am 9. Februar 1894 erschien die englische, von Lord Alfred Douglas übertragene Version der Salomé mit den bekannten Illustrationen von Aubrey Beardsley. Natürlich gab es dabei auch heftige Auseinandersetzungen über den künstlerischen Wert von Douglas Übersetzung.

1895 kamen die beiden glänzenden Komödien Ein idealer Gatte und Bunbury oder Die Bedeutung, Ernst zu sein (The Importance of Being Earnest) auf die Bühne und wurden enthusiastisch aufgenommen. Im Februar erschien die Neuausgabe des Essays The Soul of Man, das zuerst unter dem Titel The Soul of Man under Socialism (siehe oben) veröffentlicht worden war. Lord Goring in Ein idealer Gatte, der wohl auf den ersten Blick als oberflächlicher und gelangweilter Dandy erscheinen muss, ist in Wahrheit das personifizierte Ideal der darin vertretenen zutiefst humanistischen sozialästhetischen Gesinnung. Noch im Jänner 1895 macht Oscar Wilde mit Lord Douglas eine Algerienreise. In Algier trifft er zufällig André Gide.

Das Jahr der größten Triumphe als Dramatiker war auch der Beginn des Untergangs. Oscar Wilde ging wohl auch für die damalige Zeit recht leichtfertig mit seinen homosexuellen Neigungen um. Die verhängnisvolle Freundschaft mit Lord Alfred Douglas führte schließlich dazu, dass er vom Vater seines Freundes 1895 der Sodomie bezichtigt wurde, indem er eine Karte für Wilde hinterlegte, auf der zu lesen war: "To Oscar Wilde posing as a somdomite". Erbost zeigte Wilde den Marquess of Queensberry wegen Verleumdung an und erwirkte am 1. März dessen Verhaftung. Schon am 9. März wird der Fall dem Gericht überwiesen. Wilde fährt indessen mit Alfred nach Südfrankreich, während der Schauspieler und Schriftsteller Charles Brookfield eifrig Material sammelt, um Wilde homosexuelle Handlungen nachweisen zu können. Am 3. April beginnt schließlich der Prozesses gegen Lord Queensberry im Old Bailey. Er endet schon zwei Tage später mit mit einem Freispruch des Marquess. Wilde wird nun seinerseits in Untersuchungshaft genommen. Am 24. April wird der Besitz Wildes zwangsversteigert und am 26. April beginnt die Verhandlung gegen Oscar Wilde. Das Gericht kann sich zunächst auf keinen Schuldspruch einigen und Wilde kommt vorerst gegen eine Kaution von £ 5000 frei. Am 20. Mai wird das Verfahren wieder aufgenommen. Henri de Toulouse-Lautrec besucht Wilde in diesen Tagen. Am 25. Mai 1895 wird Oscar Wilde schließlich zur Höchststrafe von zwei Jahren Zuchthaus mit schwerer Zwangsarbeit verurteilt, die er im Londoner Pentonville-Gefängnis antritt. Wildes erfolgreiche Stücke werden daraufhin augenblicklich vom Spielplan genommen. Am 20. November wird Wilde ins Reading Goal verlegt. George Bernard Shaw und H.G. Wells setzen sich indessen für die Arbeiten Wildes ein.

Wildes Mutter stirbt am 3. Februar 1896. Am 10. Februar wird Wildes Salomé im Pariser Théâtre de l´Œuvre uraufgeführt. Aurélien Lugné-Poe führt Regie und spielt die Rolle des Herodes. Constance Wilde und ihrem Cousin Adrian Hope wird die Vormundschaft über Wildes Söhne zugesprochen. Constance und ihre Söhne nehmen den Nachnamen Holland an. Zwei Gnadengesuche Wildes werden abgelehnt, jedoch werden ihm Hafterleichterungen gewährt und er erhält Schreibutensilien und mehrere Bücher.

1897 verfasste Wilde im Gefängnis einen langen Brief an Lord Alfred Douglas, der später durch Robert Ross unter dem Titel De Profundis veröffentlicht wurde:

"Als erstes möchte ich Dir sagen, dass ich bittere Anklage gegen mich erhebe. Ich sitze hier in meiner dunklen Zelle, in Sträflingskleidung, ein entehrter, zugrunde gerichteter Mann, und klage mich an. In den qualvollen, angstfiebernden Nächten, den langen, eintönigen Tagen der Pein klage ich mich an. Ich klage mich an, weil ich es zuließ, dass eine ungeistige Freundschaft, eine Freundschaft, die nicht die Erschaffung und Betrachtung des Schönen zum obersten Ziel hatte, mein Leben völlig beherrschte. Von allem Anfang an klaffte zwischen uns eine zu breite Kluft. Du warst schon in der Schule träge gewesen und an der Universität mehr als träge. Du machtest Dir nicht klar, dass ein Künstler, und zumal ein Künstler wie ich es bin, das heißt einer, bei dem die Qualität seines Werkes von der Vervollkommnung seiner Persönlichkeit abhängt, für die Entfaltung seiner Kunst den Umgang mit Ideen braucht und eine geistige Atmosphäre und Ruhe, Frieden und Einsamkeit. Du hast meine Arbeit bewundert, wenn sie vollendet war: hast die glänzenden Erfolge meiner Premieren genossen und die glänzenden Soupers, die ihnen folgten: Du warst stolz, versteht sich, der beste Freund eines so prominenten Künstlers zu sein: aber die unerlässlichen Voraussetzungen für die Schaffung eines Kunstwerks konntest Du nicht begreifen."

Diese Worte scheinen zu sagen, dass Bosie Oscar Wilde in seiner dichterischen Tätigkeit behindert hätte, und gewiß nahm ihm diese auf- und abwogende Liebesbeziehung viel Zeit weg - doch waren gerade die Jahre der Freundschaft mit Alfred zugleich die künstlerisch fruchtbarsten seines Lebens. Ihr Verhältnis gemahnt in manchem an die Beziehung des Malers Basil Hallward zu Dorian Gray. Es ist beinahe, als hätte Oscar Wilde in seinem Roman die spätere Beziehung zu Alfred vorausgeahnt - nicht im äußeren Ablauf der Ereignisse, aber in den komplizierten und widersprüchlichen Gefühlsspannungen, die darin leben. Gleich Basil war er, der stets so große Furcht vor Alter und Tod hatte, besessen von Bosies Jugend und Schönheit, und gleich Lord Henry wußte er ihn auch zu verführen..

Lange nach Oscar Wildes Tod beschrieb Alfred Douglas in seiner Autobiografie ihre Beziehung aus der kritischen Distanz der Jahre so:

"Ich muss trotzdem sagen, dass mir jetzt klar ist, worin der Unterschied zwischen uns bestand: Ich war zu jener Zeit ein offener und natürlicher Heide, und er war ein Mann, der an Sünde glaubte und sie doch mit vollem Bewusstsein beging, wobei er ein doppelt perverses Vergnügen empfand. Ich war ein Junge, und er war ein blasé, ein sehr intellektueller und glänzend begabter Mann, der eine ungeheure Lebenserfahrung besaß. Es konnte gar nicht ausbleiben, dass ich seine Ansichten in großem Maße übernahm ... Lange nachdem Wilde gestorben, ich verheiratet war und mich völlig von dem Wildeschen Kult und dieser Tradition gelöst hatte, glaubte ich im Unterbewusstsein immer noch, dass er mehr oder weniger ein Prophet war und dass seine moralischen Auffassungen, ob sie einem nun gefielen oder nicht, auf abstrakter Wahrheit basierten und unwiderlegbar und unbestreitbar waren. Erst nachdem Wilde mindestem acht Jahre tot war und während ich immer noch in der Erinnerung an ihn lebte, kam mir das erste Mal der Gedanke, dass er in Wirklichkeit ein böser Mann war, von seinen sexuellen Verirrungen ganz abgesehen. Damals lernte ich allmählich das christliche System der Ethik begreifen, das ich so lange verachtet hatte."

Noch am Tage seiner Entlassung am 19. Mai 1897 schiffte sich Oscar Wilde nach Frankreich ein, um nie wieder englischen Boden zu betreten. In Dieppe wird er von Robert Ross, Reginald Turner und More Adey empfangen und trifft mit Aurélien Lugné-Poe, Vincent O´Sullivan, André Gide, Ernest Dowson, Dalhousie Young, William Rothenstein und Charles Conder zusammen. Wilde setzt sich für die Reformierung des englischen Strafvollzugs ein und arbeitet bis Mitte Okrober Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading aus. Er lebt von nun an vor allem von der finanziellen Unterstützung seiner Freunde.

Oscar Wilde und Alfred Douglas in Neapel 1897

Oscar Wilde auf dem Totenbett, 1900

Am 28. August trifft sich Oscar Wilde mit Lord Alfred Douglas in Rouen und kommt am 15. September nach Paris und von wo er gemeinsam mit Alfred weiter nach Neapel fährt, wo Wilde und Lord Douglas gemeinsam die Villa Giudice nahe Neapel beziehen.

Im Februar 1898 kehrt Oscar Wilde nach Paris zurück. Constance stirbt am 7. April in Genua an einer Rückgratoperation. Immer wieder kommt es zu gelegentlichen Zusammenkünften von Wilde und Lord Douglas, doch Wilde versucht sich von ihm zu lösen. 1900 kommt es zum endgültigen Bruch. In Begleitung von Harold Mellor bereist Wilde Italien und die Schweiz. In Rom trifft er Robert Ross.

Grabdenkmal in Père Lachaise
von Jacob Epstein

Im Juli 1900 kehrt Wilde wieder nach Paris zurück. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich als Folge einer unbehandelt gebliebenen Mittelohrentzündung, die er sich während der Haft zugezogen hatte. Halb angekleidet liegt er den größten Teil des Tages apathisch im Bett, unerträgliche Kopfschmerzen quälen ihn immer häufiger. Am 10. Oktober muss er sich einer Notoperation unterziehen, die aber nur vorübergehende Linderung bringt. Wildes Lebenswille schwindet dahin. Im November folgt eine zweite Operation; eine Gehirnhautentzündung tritt auf. Am 28. November nimmt Father Cuthbert Dunn Wilde, der dabei noch bei vollem Bewusstsein ist, mit einer Nottaufe in die römisch-katholische Kirche auf und spendet ihm die Sterbesakramente. Zwei Tage später, am 30. November 1900, stirbt Oscar Wilde im Pariser Hôtel d´Alsace an den Folgen der Mittelohrentzündung, die schließlich zu einer Penetration bis ins Mittelhirn geführt hatte.

Lord Alfred Douglas reist an und kommt für die Bestattungskosten auf. Am 3. Dezember wird Oscar Wilde auf dem Friedhof von Bagneux bei Paris beigesetzt.

Neun Jahre später wurden Oscar Wildes sterblichen Überreste auf den Prominentenfriedhof Père Lachaise in Paris überführt und 1912 vollendete Jacob Epstein die Grabskulptur für Wildes letzte Ruhestätte.

Werke

Die mit Abstand umfangreichste Sammlung von Werken Oscar Wildes im englischen Original und in deutscher Übersetzung finden Sie auf den Seiten von Claudia Letat: Oscar Wilde - Ode an ein Genie. Soweit nicht anders angegeben, verweisen nachstehende Links auf diese Quelle. Einzelne Werke in deutscher Übertragung gibt es auch im Projekt Gutenberg DE.

Werke für die Bühne:

Märchen:

Erzählungen:

Essays:

Prosa:

Aphorismen:

Briefe:

Gedichte:

 

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Zitate

Ich wähle meine Freunde nach ihrem guten Aussehen, meine Bekannten nach ihrem Charakter und meine Feinde nach ihrem Verstand.

Der einzige Unterschied zwischen dem Heiligen und dem Sünder ist, dass jeder Heilige eine Vergangenheit hat und jeder Sünder eine Zukunft.

Die Anzahl der Neider bestätigt unsere Fähigkeiten.

Wir leben in einem Zeitalter der Überarbeitung und der Unterbildung, in einem Zeitalter, in dem die Menschen so fleißig sind, dass sie verdummen.

Demokratie ist nichts anderes, als das Niederknüppeln des Volkes durch das Volk für das Volk.

Man umgebe mich mit Luxus. Auf das Notwendige kann ich verzichten.

Das einzig Konsequente an mir ist meine ewige Inkonsequenz.

Jedes Nachdenken über gutes oder schlechtes Benehmen zeugt von einem Stillstand der geistigen Entwicklung.

Vergib stets Deinen Feinden, nichts verdrießt sie so.

Mode ist eine so unerträgliche Form der Hässlichkeit, dass wir sie alle sechs Monate ändern müssen.

Ich gebe gute Ratschläge immer weiter. Es ist das einzige, was man damit anfangen kann.

Die Ehe ist ein Versuch, zu zweit wenigstens halb so glücklich zu werden, wie man allein gewesen ist.

Die Männer heiraten, weil sie müde sind, die Frauen, weil sie neugierig sind. Beide werden enttäuscht.

Wer nicht die Frauen hinter sich hat, bringt es in der Welt zu keinem Erfolg.

Ich bin offen gesagt, kein Freund langer Verlöbnisse. Sie geben den Brautleuten Gelegenheit. ihren Charakter schon vor der Hochzeit zu entdecken, was wie ich meine, niemals ratsam ist.

Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und den Mund halten.

In Prüfungen stellen Narren Fragen, die Weise nicht beantworten können.

Nur Leute, die ihre Rechnungen bezahlen, brauchen Geld, und ich bezahle meine nie.

Wenn wir Männer die Frau bekämen, die wir verdienen, könnte uns nichts Schlimmeres passieren.

Ich verstehe nicht, weshalb man so viel Wesens um die Technik des Komödien-Schreibens macht. Man braucht doch nur die Feder in ein Whisky-Glas zu tauchen.

Moral ist die Haltung, die wir Leuten gegenüber einnehmen, gegen die wir eine persönliche Abneigung haben.

Ein Experte ist ein gewöhnlicher Mann, der - wenn er nicht daheim ist - Ratschläge erteilt.

Gegenüber sehr attraktiven Frauen ist meist der Mann der Schutzbedürftige.

Zum Glück ist das Denken, in England wenigstens, nicht ansteckend.

Wenn man mir zustimmt, habe ich immer das Gefühl, im Unrecht zu sein.

Wer eine gute, verständige und schöne Frau sucht, sucht nicht eine, sondern drei.

Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen!

Kein Mann sollte ein Geheimnis vor seiner Frau haben. Sie wird es in jedem Falle herausfinden.

In früheren Zeiten bediente man sich der Folter. Heutzutage bedient man sich der Presse.

Fünfunddreissig ist ein reizvolles Alter. Es gibt Damen allerhöchster Geburt, die aus freier Wahl jahrelang fünfunddreissig bleiben, nachdem sie vierzig geworden sind.

 

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Links

Oscar Wilde - Ode an ein Genie
Claudia Letat

Umfangreiche und sehr gut aufbereitete Informationen zu Leben und Werk Oscar Wildes. Werke im englischen Original und in deutscher Übersetzung.
http://www.besuche-oscar-wilde.de

Oscar Wilde - Wikipedia
Artikel in der deutschen Wikipedia.
http://de.wikipedia.org/wiki/Oscar_Wilde

Oscar Wilde (Biografie)
Dieter Wunderlich
Oscar (Fingal O'Flahertie Wills) Wilde wurde am 16. Oktober 1854 als zweiter Sohn des namhaften Arztes William R. W. Wilde und dessen Ehefrau, der Dichterin Jane Francesca Elgee, in Dublin geboren.
http://www.dieterwunderlich.de/Oscar_Wilde.htm

Oscar Wilde - Texte im Internet
Helmut Schulze
Ein Linkliste zu Texten von Oscar Wilde in deutscher Übersetzung.
http://www.litlinks.it/wx/wilde_o.htm

Wilde, Oscar, 1854-1900
Online Books by Oscar Wilde.
http://onlinebooks.library.upenn.edu/webbin/book/search?showtitles=1&author=Oscar+Wilde

The Oscar Wilde Collection
Die Werke im englischen Original als PDF-Dokumente.
http://www.oscarwildecollection.com

Wilde, Oscar
Works online at the University of Virginia Electronic Text Center.

http://etext.lib.virginia.edu/modeng/modengW.browse.html

Photographs of Oscar Wilde and His Circle at the Clark Library
These pages show all original photographs of Wilde and his circle owned by the Library. Not included are lithograph reproductions, artists' portraits, caricatures, &c.
http://www.humnet.ucla.edu/humnet/clarklib/wildphot/default.html

The Trials of Oscar Wilde 1895
Old Bailey, the main courthouse in London, had never presented a show quite like the three trials that captivated England and much of the literary world in the spring of 1895. Celebrity, sex, witty dialogue, political intrique, surprising twists, and important issues of art and morality--is it any surprise that the trials of Oscar Wilde continue to fascinate one hundred years after the death of one of Ireland's greatest authors and playrights?
http://www.law.umkc.edu/faculty/projects/ftrials/wilde/wilde.htm

Lord Alfred 'Bosie' Douglas
Known to most as the friend of Oscar Wilde, Lord Alfred Bruce Douglas or "Bosie" as he preferred to be called (a nickname gained in childhood), was an accomplished poet, writer, and editor. Frank Harris also gave him extravagant praise as a sonneteer, comparing him with Shakespeare; and George Bernard Shaw compared him with Shelley.
http://www.geocities.com/starparty1/bosie/

Aubrey Beardsley Art Image Collections
These image collections feature illustrations by Aubrey Beardsley from Salomé, The Yellow Book, and elsewhere.
http://beardsley.artpassions.net

Aubrey Beardsley
Illustrations for Oscar Wilde's "Salome"
http://www.beautyandruin.com/findesiecle/beardsley/salome.html

Pater, Walter, 1839-1894
Online Books by Walter Pater.
http://onlinebooks.library.upenn.edu/webbin/book/search?author=Pater

Ruskin, John, 1819-1900
Online Books by John Ruskin.
http://onlinebooks.library.upenn.edu/webbin/book/search?author=Ruskin

Charles Baudelaire
Sa vie et son oeuvre. Retrouvez l'oeuvre de Charles Baudelaire, accessible en ligne ou téléchargeable au format PDF : poésie, en prose, en vers, critiques d'art, critiques littéraires...
http://baudelaire.litteratura.com

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